Carpe diem

Aus dem Alltag

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Leon mag keine Kapern, soviel steht fest. Mit steifem Rückgrat und blankem Unverständnis starrt er auf die Pizza und lässt seinem Unmut freien Lauf. Die Mutter versucht zu besänftigen, der Vater nippt verlegen am Bier und der Kellner spendet ein freundliches Wort.
Leon und die Kapern zeigen sich von all dem unbeeindruckt.

Meine Spaghetti bolognese kommen zum selben Zeitpunkt wie die Gruppe dezent lärmender Touristen, verschwinden jedoch im Gegensatz zu jenen gottlob nicht im angrenzenden Raucherraum. Ein älterer Herr müht sich gemessenen Schrittes hinter seinem Gehwagen Richtung Toilette, während eine junge Frau vergeblich versucht, an ihm vorbeizukommen. Ich greife zur Gabel, stecke sie in die Spaghetti und befördere beim Wickeln einen beachtlichen Klumpen Sauce auf mein T-Shirt.
Leon hat sich inzwischen mit der Existenz von Kapernbeeren abgefunden, sie jedoch unter nunmehr stillem Protest an den Tellerrand geschoben.

Die zwei Männer am Nebentisch wechseln kaum ein Wort, als wäre alles Wesentliche ohnehin bereits gesagt. Allenthalben öffnet sich die Tür zum Raucherbereich, weil eine Rechnung bezahlt oder eine Blase entleert werden will, und augenblicklich fluten bläuliche Schwaden und fröhliches Gelächter das gesamte Lokal. Die beiden neben mir prosten einander zu, der Kellner eilt in die Küche und der alte Mann mit dem Gehwagen verlässt den Toilettenbereich. Leon bockt wenig wortreich.

Mir gegenüber sitzen eine ältere Dame und ihre beiden längst erwachsenen Söhne. Die tiefen Falten im Gesicht der Frau, ihre gekrümmte Haltung, die Verdickungen an den Fingergelenken zeugen von einem langen, wohl nicht immer einfachen Leben. Sie lächelt. Die Gespräche der drei wirken harmonisch, ihre Gesichtszüge entspannt. Sie scheinen ihr Zusammentreffen zu genießen. Und in dem Moment, in dem sie ihre Gläser erheben, beginnt Hubert von Goisern ‚Heast as net‘ zu singen.

Der Kellner serviert meinen Teller ab, die beiden Männer am Nebentisch widmen sich stumm und diszipliniert ihrem vierten Bier und ein Rosenverkäufer dreht seine vergeblichen Runden. ‚Die Jungen san oid woan und die Oidn san g’storbn.‘ Der eine der beiden Söhne beendet mit leisem Wort und großer Geste eine Erzählung und Bruder und Mutter sehen einander kurz an, bevor sie losprusten. ‚Und gestan is heit word’n und heit is boid morg’n.‘

Und während Leon, scheinbar bester Dinge und wieder versöhnt mit sich und der Welt, das Lokal zusammen mit seinen Eltern verlässt, fasse ich einen Entschluss. Ich nehme das Mobiltelefon zur Hand und wähle die Nummer meiner Eltern.

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