Bitte zu Tisch

Shanghai

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Ich weiß ja gar nicht, was das alles ist, was ich da esse, es steht ja so viel auf dem Tisch. Wir haben jetzt schon keine Ahnung, wohin mit all den Tellern und dennoch kommen dauernd neue. Aber wer will sich schon beschweren, dass sie uns bringen, was wir vorhin bestellt haben, und ein Plätzchen findet sich letztlich auch immer. Dann beiße ich in eine Teigtasche und verwandle mein T-Shirt in etwas, das akkurat nach Action Painting aussieht.

Mit Phil um die Garnelen zu ringen, kann gefährlich werden, man darf sich da nicht von seiner britischen Zurückhaltung blenden lassen. Aber im Grunde ist da selber schuld, wer sich blutige Finger holt, man reißt ja einem hungrigen Löwen auch nicht die Gazelle aus dem Maul. Ich fische mir drei Brokkolis und ein wenig von diesen Nudeln, die dem Rind jetzt Heimstatt bieten, und gönne mir einen kräftigen Schluck vom allgegenwärtigen Tsingtao-Bier. Dann nehme ich die Stäbchen wieder auf und widme mich dem Rind.

Am Nebentisch wird forsch geschlemmt. Es ist das Tempo ja beachtlich, mit dem Chinesen ihre Futterschüssel leeren. Ich greife nach dem Teller mit den Pilzen, die in einer Wohngemeinschaft mit erstaunlich vielen Chilis hausen. Da muss man schon ein wenig Obacht geben, die kleine rote Frucht kann unbarmherzig sein. Eine Kellnerin serviert die ersten Teller ab und fragt, ob sie noch Bier kredenzen soll. Sie erntet vehementes Nicken.
Sie sind ja doch recht scharf, die Chilis.

Das mit Frühlingszwiebeln gefüllte Fladenbrot esse ich mit den Fingern, etwas anderes denke ich erst gar nicht an. Und gerade als ich mir die Schüssel mit den Fisolen angle, die so knackig sind und unwiderstehlich gut gewürzt, kommt ein neuer Teller auf den Tisch. Es ist der Mandarinfisch. Ich kriege feuchte Augen.
Wir langen mit den Stäbchen zu und zupfen einfach Stück um Stück vom Körper, ein Schwarm Piranhas könnt‘ glatt neidisch werden. Die Sauce, die zum Fisch gereicht wird, ist süßlich und ein kleines Meisterwerk für sich. Ich schiele nach den Melanzani mit Kartoffeln und greife nach dem Bier, das trinkt sich ja nicht von allein. Phil gönnt sich eine weitere Garnele. Und während sich die fröhliche Schar am Nebentisch allmählich dem Ende ihrer Mahlzeit nähert, eilt wieselflinkes Personal, bepackt mit Speisen aller Art, quer durchs Lokal.

Wirklich hungrig bin ich nicht mehr, aber wer brächte es schon über sich, vom Huhn mit Cashew-Nüssen nicht zu kosten? Dazu noch zwei Stück Brokkoli, sie schwinden langsam hin. Brigitte werkt ganz still am Fisch, die Doris labt sich an den Melanzani und tilgt mit leichter Hand das letzte Fladenbrot vom Tisch. Das Rind ist längst verschwunden, die Pilze folgen bald, zwei Garnelen räkeln sich stumm auf dem Tablett. Phil äugt verschämt in ihre Richtung.
Am Nebentisch ist Ruhe eingekehrt, ein jeder hält sein Handy in der Hand und widmet sich dem virtuellen Raum. Ich lange nach dem Huhn und gebe ihm Geleit mit reichlich Reis und Bier. Brigitte zupft gekonnt das Fleisch aus den Bäckchen des Mandarinfischs, nachdem sie sich versichert hat, dass niemand sonst es essen mag. Das soll ja angeblich das beste Stück vom Fisch sein, aber ich bringe es einfach nicht über mich, in einem Gesicht herumzustochern, das mich so vorwurfsvoll aus toten Augen anstarrt. Phil seufzt kurz auf und legt dann elegant sein Essgerät beiseite, er sieht zufrieden aus und satt. Und die Garnelen sind nicht mehr.

Wir stoßen an, ein letztes Mal. Leeren unsere Gläser, begleichen die Rechnung, steigen die Treppe hinab. Zwei Frauen tun das ebenfalls. Sie gehen rückwärts.

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