Der Preis der Freundschaft

Aus dem Alltag

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Manche Dinge ändern sich nicht. Die Farbe deiner Augen. Die Überheblichkeit der Mächtigen. Dass Erdferkel nicht fliegen können.
Die Art und Weise, wie deine Mutter Essen kocht.

Ich sitze am elterlichen Küchentisch und schaue auf die Töpfe, mit denen meine Mutter geschäftig hantiert. Den einen oder anderen, denke ich mir, kenne ich noch aus den späten Siebzigern, aber ich mag mich irren. ‚Im Beruf alles in Ordnung?‘, fragt mein Vater und legt die Gratistageszeitung auf den kleinen Stapel in der Sitzecke. Es ist die Art von Frage, die nach einer knappen Antwort schreit oder einer ganz langen. Ich weiß nicht, welche Wahl ich treffen soll. Da läutet mein Telefon.

Unterdrückte Rufnummer. Das hab ich gar nicht gern. Ich stehe auf, gehe ins Wohnzimmer und ringe mir ein ‚Hallo?‘ ab. ‚Auch hallo‘, tönt es freundlich aus dem Handy, den Akzent verorte ich irgendwo zwischen Bonn und Karlsruhe. ‚Fein‘, sage ich. Ob wir auch noch klären könnten, wer denn in der Leitung sei? ‚Was glaubst du denn, wer spricht?‘, höre ich und denke mir, dass ich Gegenfragen noch weniger leiden kann als unterdrückte Rufnummern. Ich spiele mit dem Gedanken, das Gespräch zu beenden. ‚Wie viele Deutsche kennst du denn?‘, meint die Stimme aus dem Äther und ihre Herzlichkeit stimmt mich versöhnlich.
‚Bist du das, Klaus?‘, frage ich zögerlich. ‚Ja klar, ich grüße dich‘, sagt er.

Es sei kein Wunder, dass ich ihn nicht gleich erkannt habe, er sei ein wenig erkältet. Er habe sich jetzt durchaus amüsiert, meint er, ich möge ihm verzeihen. Ich mag. ‚Wie geht’s dir jetzt?‘, fragt er und mir ist klar, dass er auf meinen Hörsturz anspielt. ‚Nett, dass du fragst, Klaus. Ab und zu rauscht’s noch ganz ordentlich im Ohr und ein Tinnitus ist mir auch geblieben.‘ Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie ein Schwarm Spatzen im Geäst eines nahen Kirschbaums landet. ‚Die Zeit schlägt uns allen ein paar Schrammen‘, sage ich und beende damit mein kleines Klagelied. ‚Ich freu mich echt, von dir zu hören. Was tut sich bei dir?‘ Klaus holt tief Luft. Er habe eine große Bitte, meint er. Eine sehr große. Und sie sei ihm furchtbar peinlich.

Er sitze gerade im Zug von Brünn nach Wien. Ob er mich treffen könne? ‚Gern‘, sag ich. Am späten Nachmittag. Jetzt sei ich zu Besuch bei meinen Eltern. Was denn die Bitte wäre, will ich wissen. Er zögert. Er brauche vierzigtausend Euro, sagt er.

‚Tun wir das nicht alle?‘, meine ich leichthin und lege meine Stirn in Falten. Er habe an einer Auktion teilgenommen, erzählt er. Für ein Grundstück in Tirol. Erstklassiges Investment. Und eine Kaution von zwanzigtausend hinterlegt. Jetzt habe er bemerkt, dass sein deutscher Verrechnungsscheck nicht akzeptiert würde. Wenn er die restlichen vierzigtausend nicht bis halb drei bezahlen könne, verlöre er die Kaution. Das klingt echt übel.
Ich wäre seine letzte Rettung, sagt Klaus. Zwanzigtausend Euro seien viel Geld. Er wolle es nicht verlieren, nur weil er sich schlecht informiert habe. Ob ich ihm nicht die fehlenden vierzigtausend überweisen könne? Ich würde sie morgen schon wiederhaben.
Wie reagiert man in so einer Situation?

Ich nenne ihm einen kleinen Betrag. ‚Nein, das ist zu wenig, Manfred. Viel zu wenig.‘ Er wirkt verzweifelt. Er brauche das Geld in zweieinhalb Stunden. Ich müsse doch mehr Mittel flüssig haben. Vielleicht auch meine Eltern? Ich solle fragen. Mein Gott, er verlöre zwanzigtausend Euro, ich werde ihm doch wohl helfen. ‚Du kriegst das Geld ja morgen zurück. Mensch, Manfred, wo ist denn das Problem?‘
Wieviel ist Freundschaft wert, denke ich mir. In welcher Währung wird sie bemessen?

Drei Dinge weiß ich ganz gewiss. Erstens: Erdferkel können nicht fliegen. Zweitens: ich überweise niemandem vierzigtausend Euro. Schon gar nicht unter Zeitdruck. Und drittens: nein. Ich werde meine Eltern nicht um Geld bitten. Ganz sicher nicht.

Nebenan ruft meine Mutter. Das Essen wäre bald fertig, ich solle mich beeilen. ‚Klaus‘, sage ich, ‚du verlierst doch nicht die Kaution, die gehört dir‘. Da wird er böse. Und emotional. ‚Ich hätte dasselbe auf der Stelle für dich getan‘, schreit er. ‚Du bist so ein blödes Arschloch. Was ist denn los mit dir?‘ Mein Vater deckt geräuschvoll den Tisch. Ein gelber Fiat Punto kommt die Gasse herauf, verschwindet schnell außer Sicht. ‚Klaus, ich werde jetzt mit meinen Eltern Mittagessen. Wenn du willst, können wir uns gegen fünf Uhr treffen. Was hat denn eigentlich Dietmar dazu gesagt?‘ Dietmar, sein bester Freund in Österreich. Sein allerbester. Er habe sich nicht getraut, ihn anzurufen, meint Klaus. Er schäme sich so. Er sei verzweifelt.
‚Ich muss jetzt Schluss machen, Klaus. Sollen wir uns später treffen?‘ ‚Du setzt dich jetzt sofort ins Auto und kommst nach Wien.‘ Sein Ton ist scharf geworden. Jetzt brüllt er. ‚Du bist so ein blödes Arschloch‘, sagt er abermals. Ich beende das Gespräch. Ich finde, ich war geduldig.

Das Freizeichen tönt im virtuellen Raum. Einmal, zweimal, dann hebt Doris ab. ‚Du wirst nicht glauben, was mir grad passiert ist‘, sage ich. Und beginne zu erzählen. Die Spatzen fliegen wieder vor dem Fenster vorbei, landen wohl im Nachbarsgarten, als ich zum Ende der Geschichte komme. ‚Ist das nicht merkwürdig?‘, fragt Doris. Und mit einem Mal wird mir klar, dass sie recht hat, sehe ich die Wahrheit, die hinter der Täuschung lauert. Ich bringe kaum ein Wort heraus, halte den Atem an, stehe mit offenem Mund vor dem geschlossenen Fenster.
Jede Information von Relevanz, er hatte sie von mir. Die Namen Klaus und Dietmar. Den Ort, an dem ich mich befand. Sogar den Hörsturz. Ich bin so ein Idiot.
Ich drehe mich um, gehe in die Küche und setze mich an den Esstisch. ‚Lang hast telefoniert. Na Hauptsache, es ist alles in Ordnung‘, sagt meine Mutter. Dann füllt sie meinen Teller. Es gibt Reisfleisch.

‚Tolle Geschichte‘, schreibt Klaus. ‚Der stumme Schrei‘ habe ihn wirklich berührt. ‚Na warte erst, bis du den Beitrag liest, in dem du selber vorkommst‘, schreibe ich zurück. ‚Ich fühle mich geschmeichelt‘, meint er erwartungsfroh.
Na der wird Augen machen.

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