Ganz sicher sind wir uns nicht, als wir das Gartentor hinter uns zusperren. Ob das als Wanderung durchgehen wird, unsere Tour zur Sophienalpe. Was letztlich ja herzlich wurscht ist, denke ich mir, zerre an meinen Socken und schließe den Hüftgurt meines Rucksacks. Als ich in den Himmel blinzle, auf dem drei Federwolken mit dem Wind tanzen, fällt mir ein, dass ich die Sonnenbrille vergessen habe und beschließe das einzig Angemessene.
Dass das jetzt auch wurscht ist.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Doris den Weg verlässt, der sich pittoresk hinter der letzten Reihe der Kleingartenhäuser um den Wolfersberg schlängelt, und durch eine kleine Lücke schlüpft, die sich im Unterholz auftut. Viel Vorsprung hat sie nicht. Wir gehen vorbei an den beiden Kirschbäumen, die neben dem Kinderspielplatz stehen, der prinzipiell zwar wieder betretbar, aber trotzdem noch verwaist ist. Passieren eine Bank, auf der eine alte Frau sitzt, die Richtung Sophienalpe schaut und freundlich unseren Gruß erwidert. Gehen über die Robert-Fuchs-Gasse und den Jupiterweg den Wolfersberg hinunter und fühlen uns wie Überlebende eines Schiffbruchs, die wieder festen Boden unter den Füßen haben.
Corona gönnt uns Freigang.
Die sonst so vertraute Umgebung wirkt eigenartig fremd, als ob wir sie bloß aus einem früheren Leben kennen würden, was in gewisser Weise ja auch stimmt. Prompt zweige ich falsch ab. ‚Das kommt mir jetzt nicht bekannt vor‘, sagt Doris und spricht laut aus, was leise in mir nagt. ‚Genossenschaftsstraße‘ lese ich auf dem Straßenschild und sehe einer Katze zu, wie sie vor einem nahen Blumenbeet in eine verräterische Hocke geht. ‚Andere Richtung‘, meint Doris, deutet nach rechts und ist schon unterwegs.
Ich drehe mich noch einmal um und schaue auf den Teil der Genossenschaftsstraße, der uns nun verborgen bleibt. Die Katze blickt mich gelangweilt an und verschwindet hinter einer Thujenhecke.
Die Knödelhüttenstraße entlässt uns schließlich aus dem bebauten Gebiet und der Wald schluckt uns wie ein Bayer sein Bier: zügig und umstandslos. Während in der nahen Siedlung noch das Hämmern eines fleißigen Eigenheimbesitzers zu hören ist, schreit in der anderen Richtung schon ein Kuckuck. Unter meinen Füßen zerbricht ein morscher Ast. Zwei Mountainbikefahrer kommen uns entgegen und wir nicken einander zögerlich zu, als gehörten wir einer ähnlichen, aber nicht derselben Spezies an.
Im Unterholz, wo viele Augen sind und noch mehr Beine, knacken Zweige.
Der Weg zur Spitalwiese wird flankiert von einer Armee aus blühendem Bärlauch, die nicht nur optisch, sondern auch olfaktorisch auf sich aufmerksam macht. Auf der Wiese stolpere ich beinahe über einen Hund, dessen Rasse ich nicht bestimmen kann, der sich aber als klein und unvorsichtig erweist, was keine vorteilhafte Kombination ist. Wir queren den Halterbach und folgen dem Wanderweg, der sich ein Stück oberhalb der Forststraße am Hang entlangzieht und bewundern einen Feuersalamander, der einen Stein als Sonnenstudio nutzt. Eine Äskulapnatter, wohl einen Meter lang und dick wie ein kräftiger Ast, quert den Weg und verschwindet behäbig hinter einem mächtigen Brombeerstrauch.
Wir folgen ihr nicht.
Bei der Rieglerhütte wiehert ein Pferd und angesichts des Reitstalls und der Fülle an Tieren, die sich dort befinden, wundere ich mich, wie leise es hier zugeht. Aber vielleicht ist laute Geschäftigkeit einfach nicht ihr Ding oder es gibt aktuell wenig zu erzählen in Pferdekreisen. Ein Stück hinter der Rieglerhütte mühen wir uns dann den Hang hinauf, dessen Steilheit sich böse in unsere Lungen frisst, was allemal besser ist als Corona. Dass es die hundertacht Höhenmeter schnurgerade nach oben geht, liegt daran, dass wir auf der ehemaligen Trasse einer Standseilbahn marschieren, mit der man aber auch nicht viel schneller auf die Sophienalpe kam als wir heute. Nur weniger schweißtreibend.
Oben dann das großartige Ausflugslokal, das aber nicht wegen Corona geschlossen hat, sondern weil schon wieder ein Betreiber an einem verqueren Geschäftskonzept gescheitert ist. Es gibt Orte, die den Niedergang anziehen, denke ich mir und schwenke nach rechts.
Zu den Schaukeln.
Die werden zu einem guten Teil von jungen Leuten belagert, die miteinander plaudern, hingebungsvoll in ein Sandwich beißen oder sich an einer bunten Flasche festhalten, eines jedoch nicht tun: schaukeln. Ich stapfe zielsicher zu einem der beiden freien Plätze und genieße den Charme der Siebzigerjahre, den die bunten Schaukeln verströmen. Der Jugendliche links von mir, zwanglos ins Gespräch vertieft mit zwei Mädchen, die zu seinen Füßen auf einer Picknickdecke liegen, schaut irritiert in meine Richtung. Ich setze mich und tue, wofür dieser Ort geschaffen ist. Und während der Wind um meine Ohren pfeift und die Bäume ringsum sich mal in die eine Richtung neigen, dann wieder in die andere, bemerke ich ein verrostetes Schild.
‚Schaukeln auf eigene Gefahr‘ steht dort und das nächste, was ich sehe, sind meine Schuhspitzen, die nach einer Wolke treten.
Ganz sicher sind wir uns nicht, als schließlich die ersten Häuser auftauchen. Ob das da vorne wirklich die Knödelhüttenstraße ist. ‚Salzwiesengasse‘ lese ich auf dem Straßenschild und Doris sagt ‚Aha‘, als wäre damit alles erklärt. Hinter uns ruft ein Kuckuck tatsächlich ‚Kuckuck!‘. ‚Da geht’s lang‘, sage ich, deute umständlich nach Osten, und kann Doris davon überzeugen, dass ich weiß, was ich tue.