Die Brücke

Aus dem Alltag

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Den Radweg verlassen, die Landesstraße queren. Einem Weißstorch dabei zusehen, wie er in einem Acker spaziert und sich nicht stören lässt bei seiner Futtersuche. Einen Gang höher schalten, den Gewerbebetrieb links liegen lassen, vor dem zwei Lastwägen stehen und ein alter Volvo. Auf einen Feldweg einbiegen und hören, wie die Kieselsteine wegspritzen unter den Reifen.
Zur Brücke von Andau fahren.

Neun Kilometer, schnurgerade. Keine Abzweigung, kein Raum, verloren zu gehen in der Weite der Landschaft. Und wenn dann doch ein Weg auftaucht, unerwartet, weil man schon glaubt, die Welt verliefe vielleicht doch geradlinig: benützen verboten. Also weiter geradeaus, vielleicht sogar einen Gang zurückschalten, weil man entdeckt, dass das nicht Sport ist, sondern Meditation. Äcker sieht man vorbeiziehen und Rebstöcke. Klatschmohn und Wiesensalbei, Mutterkraut und Disteln an den Wegrändern. Tritt jetzt langsamer in die Pedale, sitzt eine Spur aufrechter, schaut aufmerksamer auf die Landschaft.
Fährt auf einem Weg, der nicht enden will und erkennt: das ist ganz wunderbar.

Flach ist die Welt und niemand in ihr außer uns. Der Wind bläst schräg von hinten, Nordnordwest, und es ist klar: er wird uns um die Ohren pfeifen, ins Gesicht schlagen, dass die Augen tränen. Am Weg zurück. Doch es kümmert uns jetzt nicht, wo der Wind ein Freund ist, der uns sanft vorwärtsschiebt.
Zur Brücke von Andau.

Die Äcker werden weniger, die Rebstöcke sind verschwunden. Der Weg bleibt schnurgerade, behält auch sein Kleid aus bröckelndem Asphalt, aus dem hin und wieder ein Grasbüschel ragt oder auch eine Brennnessel. Wird nur schmäler. Der Nationalpark streckt seine Finger aus, sie sind nicht manikürt. Sind nur da, liegen über dem Land und wollen halten, was es noch zu halten gibt. Großtrappenschutzgebiet. Zutritt verboten, strengstens.

Fahren. Den Wind spüren. Die Vögel zwitschern hören, die irgendwo im Gestrüpp hocken und hundert fröhliche Lieder singen. Die Disteln bewundern, die ihr strahlendes Violett am Wegrand feilbieten. Den Blick auf den Horizont richten, in dem sich die Straße verliert. Einem Storch zusehen, wie er auffliegt und nach Westen navigiert.
Die Großtrappen aber bleiben stumm und unsichtbar.

Schilf taucht auf, eine Kreuzung vollendet die Gerade. Bremsen, vom Rad steigen, es abstellen im Grün der Landschaft. Auf die Brücke sehen, die neu ist und doch schon wieder Zuwendung bräuchte. Benützung auf eigene Gefahr. Hinübergehen nach Ungarn. Drüben stehen und daran denken, was früher hier geschah.
An der Brücke von Andau.

Damals, neunzehnsechsundfünfzig. Ungarnaufstand. Kurze Hoffnung, die jäh starb. Menschen, die ihre Heimat verließen, weil sie keine Zukunft in ihr sahen. Schweren Herzens auf die Brücke traten, hinüberflüchteten. In die Freiheit.
Siebzigtausend Menschen, die gingen, ohne Wiederkehr.

Am Rückweg den Wind fühlen, der nun kein Freund mehr ist. Die Straße entlangfahren, auf der die siebzigtausend zogen, bevor sie in der Welt aufgingen. Genau hinhorchen, ihr Murmeln noch hören und ihre Sehnsüchte greifen.
Oder war es nur der Wind, der durch die Speichen pfiff?

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