Gipfelsturm

Aus dem Alltag

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Der Automat mag die zehn Euro nicht. Spuckt sie aus, als wären sie ein ausgelutschter Kaugummi oder ein derbes Wort, das zu schnell gesagt und zu langsam gedacht worden ist. Der Automat, der Maut kassiert, schenkt mir ein ödes Blinken.
Eine Quittung gibt er mir nicht.

‚Wie modern‘, sagt Manfred und grinst, als er sich bückt und nach dem Geldschein greift. ‚Dem schmeckt kein Bargeld mehr. Mal sehen, was er mit der Karte macht.‘ Schreddern wahrscheinlich, denke ich mir und stecke die zehn Euro in meine Geldbörse.
Ich behalte Unrecht.

Die Mautstelle verschwindet im Rückspiegel, der Polo gewinnt Höhenmeter. Holzspäne finden sich auf der Straße und kleine Zweige, traurige Verlassenschaft gewesener Fichten. Die Stämme liegen entastet am Fahrbahnrand.

Am Parkplatz vor der Hansbauerhütte ist die Luft kühl und die Welt einsam. Hangaufwärts pfeift ein Murmeltier. Der Polo glänzt in der Sonne und gönnt sich eine Rast. Ich drehe mich um, kann ein Stück der Straße sehen, die sich bald hinter einer Kurve versteckt. Der Millstätter See lässt sich nicht blicken, duckt sich hinter einer Hügelkuppe.

‚Wie geht’s?‘, fragt Manfred, als er nach einer gefühlten Viertelstunde die Bergschuhe an den Füßen hat. Schuhbänder können auch am Ende des fünften Lebensjahrzehnts noch eine spannende Herausforderung sein. Ich zucke mit den Schultern. Was soll man auf so eine Frage antworten, wenn man gleich vierhundert Höhenmeter schlucken wird und das Frühstück noch nicht verdaut ist? ‚Kann losgehen‘, sage ich und ziehe den Hüftgurt meines Rucksacks enger. Manfred nickt, dreht sich um, geht Richtung Forstweg. Ich setze meine Sonnenbrille auf. Schaue zur Hütte, die friedlich in der Sonne döst. Die Straße hinunter, auf der niemand zu sehen ist. Stapfe los, zehn Schritte hinter meinem Mann.
Beim Kuhgatter hole ich ihn ein.

Er sei schließlich Rindvieh im Sternzeichen, da seien Kuhgatter ernst zu nehmende Hindernisse. Ich hebe seinen Rucksack leicht an und schiebe ihn durch die Engstelle. ‚Eh‘, sage ich und finde mich heute ungewöhnlich wortreich. Er bedankt sich, zupft am linken Hosenbein, kratzt sich in der Kniekehle. Dann stürmt er los als gälte es, dem Teufel zu entrinnen.

‚Geht’s dir gut?‘ Manfred hat sich umgedreht und seine Stirn in Falten gelegt. Er sieht mich an, als hätte ich Anspruch auf Pflegegeld der Stufe fünf. ‚Ja, schon‘, sage ich. ‚Ein wenig außer Atem halt. Nach einer halben Stunde Berglauf.‘ Ob das auch eine Spur langsamer ginge? Man könne am Berg leicht seinen Hund zu Tode hetzen. Oder seine Frau.

‚Wenn du magst, können wir auch umdrehen‘, meint er fünf Minuten später. ‚Du schaust heut‘ gar nicht gut aus‘, fügt er hinzu, ich werte es nicht als Kompliment. Ich beginne zu zweifeln. An mir, an meiner Kondition. Dann bückt er sich und zurrt sein rechtes Schuhband fest.
Ich gewinne wertvolle Zeit.

Wind kommt auf und der Gipfel in Sicht. Es ist ein sanfter Gipfel, eine grüne Kuppe. Und doch ein Zweitausender. Linker Hand pfeift ein Murmeltier, bevor es im Bau verschwindet. Am Himmel kreist ein Greifvogel. Ich halte durch, setze Fuß vor Fuß. Zwinge mich an den Kühen vorbei, die die Hänge zu meiden und die Wege zu lieben scheinen. Eine braune brüllt mich an.
Vielleicht schreit sie ja bloß um Hilfe, ich könnte es verstehen.

Am Gipfel faucht ein fieser Sturm. Ich nehme den Rucksack ab, ziehe mir die Fleecejacke an. Gehe zum Gipfelkreuz und berühre es. ‚Ging doch‘, sagt Manfred und zieht an seinen Socken. Ich trinke meine Wasserflasche leer, stecke sie in die Netztasche. Schaue nach Westen, wo die Hohen Tauern in ihrem weißen Kleid herübergrüßen. Nach Süden, wo sich der Millstätter See in der Talsenke sonnt. Sehe nach Osten, wo der mächtige Rosennock hockt und hinunterschaut auf die anderen Zweitausender. Im Norden pfeift ein Murmeltier.

Was denn eigentlich im Wanderführer stünde, frage ich und schaue auf meine nackten Füße, die es schon ganz eilig haben, mich in den See zu tragen. ‚Fünfundsiebzig Minuten für den Aufstieg‘, sagt er und muss niesen, als er in die Sonne blinzelt. Ich stutze. ‚Und warum haben wir dann fünfundfünfzig gebraucht?‘, will ich wissen.

Ich weiß, dass er mir Antwort gibt, aber ich kann sie nicht hören. Ich steige in den See, fühle, wie mich die Kälte umfängt. Tauche unter.
Still ist es. Und eben.

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