Die Erde soll von Gott als Paradies geplant worden sein; so wird die Geschichte in der Bibel erzählt. Ein geschützter Garten, mit nur einem Gesetz: Keine Äpfel essen. Sagt Luther. Gott ließ Feigenbäume wachsen. Das Paradies war nicht in Europa. Im Himmel auch nicht. Der Garten Eden als Raumstation vielleicht. Über dem Bodensee schwebend, über der Halbinsel Höri. Denn Gott sagte wohlig erschöpft am Ende der Erschaffung der Welt: Jetzt hör i uff. Gott war fertig; die Menschen begannen mit ihrer Weltgeschichte.
Was Gott wollte, wissen wir Menschen nicht. Aus den Texten ergibt sich: Die Schlangen sollten nicht erschlagen, aber auch nicht erhört werden. Eine Mauer, wie um einen Klostergarten, begrenzte das Paradies. So stellten sich die Malerinnen das Paradies vor. Ihre männlichen Kollegen auch, vielleicht noch eine nackte Brust mehr, aber die Mauer, die Schlange, der Apfel, Evas mit einer Hand bedeckter Schoß waren fester Bestandteil der Requisiten im Paradies. Engel flogen und standen. Mit und ohne Gin Tonic. Niemand brauchte Heizdecken, Häuser, Autos und anderen Krimskrams. Raketen wurden nicht in den Himmel geschickt, weil der Garten Eden selbst eine Raumstation war. Die Früchte des Hains nährten Eva, Adam, die Engel und die Tiere. Alles war unlogisch, aber gut. Nur Äpfel essen war verboten, genauer: die Früchte vom Baum der Erkenntnis.
Gut und böse. Unlogisch, aber ein Gebot Gottes, eine Art Psychotest. Oder die Idee, den Menschen vor Scham und Unheil zu bewahren. Vor dem Gegensatz von Geist und Lust. Ich begehre, aber mein Begehren muss ich mit Moral und Ideologie verkleiden. Niemand weiß, was Gott dachte und wollte, ob er die Erde als Paradies plante, sondern nur, was Menschen Jahrhunderte später deuteten und aufschrieben.
Wer brachte die Unterscheidung zwischen Gut und Böse in die Schöpfung? Gott? Mit dieser Trennung zwischen dem Garten Eden und der Welt außerhalb der Mauern? Was fand in der Welt außerhalb Edens statt, bevor Eva und Adam die Tür in der Mauer geöffnet und sie hinauskomplementiert wurde/n? Plante Gott von Anfang an die Versuchung der Menschen? Prototyp im Paradies, danach Kain und Abel jenseits der Mauer? Wollte er nicht, dass es uns problemlos und ewig gut im Paradies ginge? Konstruierte Gott den Garten Eden als eine Falle, um aus der vollständigen Verantwortung für das Wohlergehen der Menschen zu entkommen?
Entweder mussten die ersten Menschen moralisch tüchtig sein, oder im Sündenfall eben ihr Leben lang rackern und sich gegenseitig das Leben schwer machen. Eva und Adam nahmen Gott die Verantwortung ab. Sie trafen Entscheidungen.
Der Garten Eden. Die beiden Menschen schlafen und essen nicht nur, schauen nicht nur in die Sonne und spazieren durch Wiesen und Wälder innerhalb der Mauern des Paradieses, sondern fangen an zu fragen: Warum sollen wir keine Äpfel pflücken und essen? Wahrscheinlich waren mit dem Essverbot keine Äpfel, sondern Feigen gemeint. Aber was der Chronist nicht kennt, benennt er und isst er nicht. Wenn dann eine Stimme säuselt, lass den anderen Menschen da, den mit dem Bart, doch probieren. Gott gönnt Euch nicht alles, nicht die Lust der Erkenntnis und der Sünde. Es gibt ein Leben außerhalb der Mauern. Die Engel sind keine Freunde, sondern Wächter.
Gib Adam die Feige und schau, was passiert.
Auch wenn die Stimme einer näselnden Schlange gehört, kommen die Menschen ins Grübeln. Dazu noch die Situation, dass Eva und Adam nackt waren, die Engel aber in wallenden Gewändern herumliefen. Vielleicht war Adam nicht der Schlauste, auf jeden Fall war er weder voll der Gnaden noch gläubig. Vielleicht war ihm auch langweilig in diesem paradiesischen Klostergarten, und er hoffte, dass die Mauern fielen und er endlich erfahren konnte, ob es mehr gab als Heilpflanzen, Engel und diese eine Eva. Eine Welt außerhalb. Blicke, die nicht durch Verbote und Wände gebrochen wurden. Vielleicht war es auch Eva leid, friedlich vom Brunnen zu den Heilkräutern und zurück zu einem der Engel zu schlendern. Und immer diesem Adam zu begegnen.
Was geschah hinter der Mauer?
Auch wenn der Garten Eden nicht eingezäunt gewesen sein sollte, ergeben sich die gleichen Probleme wie vor einem Deich oder in der Schweiz: Was ist dahinter? Schlammwatt, Salzwiesen oder ein weites Meer mit Wellen. Was sehe ich von diesem Berg aus? Dem nächsten noch höheren Berg? Und so weiter. In den Wäldern, Steppen und Wüsten, zwischen den Hochhäusern ist es das Gleiche. Wo ich bin, weiß ich nicht, aber was da ist, wo ich nicht bin, will ich wissen. Und sei es im Weltall.
Inzwischen ist die Erde nahe der Hölle gelegen. Nahe der Ausfahrt zum Ende der Kugel, die in der Unendlichkeit, jenseits der schwarzen Löcher, kreist. Nein, Gott hat nichts damit zu tun. Gott schuf ein Paradies, setzte ein paar Regeln, damit die Menschen einander nicht umbringen, betrügen und belügen. Aber Gott verlangte zu viel, also ließ er den Menschen ihren Willen und kümmerte sich ums Universum. Jenseits der Dörfer und der kleinen Erdkugel. Seitdem fragen Menschen in Not: Gott, wo bist du? Warum lässt du dieses Elend zu? Und die Menschen diskutieren, ob sie einen freien Willen haben oder genetisch vorbestimmt sind, die Gesetze zu brechen. Einander zu erschlagen und zu quälen.
Oder sie tun Gutes. Und sind romantisch. Sentimental. Wehmütig. Dann schaffen die Menschen kleine Paradiese oder was sie dafür halten: Wellnessoasen, Ressorthotels, Kitschgärten.
Manchmal fragt sich Gott: Wie wäre ich, wenn ich auf der Erde lebte? Gott weiß es nicht, nur dass der friedliche Weltenatlas ein verlorener Gedanke ist, und auch der, darauf zu hoffen, dass die Menschen nicht jede mögliche Infamie begehen, nicht jede Bösartigkeit und jedes denkbare Verbrechen. Gott sagt: Die Menschen begreifen nicht, dass die Erde eine Kugel ist und alles gleichzeitig geschieht. Sie träumen von der Wärme zwischen Käsescheibletten und Ananaskringeln. Von der Erde als großer flacher Scheibe. Von der sie die schubsen können, die stören. Und irgendwelche Menschen, Gruppen stören immer.
Alle wollen einen Gottesbeweis, Bilder, Wunder, aber niemand hat den Wunsch, Gott zuzuhören. Wahrzunehmen. Nachzudenken. Essayistisch zu leben. Jenseits des Wirklichkeitssinns. Ohne Grenzen im Kopf. Möglichkeitssinne. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen. Da lachten alle, als Walter Ulbricht das sagte. Selbst Gott. Aber alle Maler umgeben das Paradies mit einer Mauer.
Damals war die Erde eine flache Scheibe, und wer konnte, sicherte sich ein möglichst großes Stück von ihr. Oberste Aufgabe war es, vom Rand wegbleiben. Und nicht zu viele Fragen zu stellen, wie alles zusammenhing. Und warum die Sterne Schatten warfen. Das muss niemand wissen.
Als die Erde dann zur Kugel wurde, änderte die neue Unendlichkeit nichts an dem Wunsch, Festungen und Mauern zu bauen. Dann eben im Kreis, länger und größer. Einmal um die Erde. Dazwischen die Flotten der Admirale, die U-Boote, die Atombomben. Wenn die Erde rund ist, fallen die Schatten der Sterne länger. Die Königreiche und Grafschaften werden größer. Der Käse des Hawaiitoasts schmilzt über die Mauern. Die Herrscher lecken, die Damen kosten Kaviar. Wo die Macht ist, glitzern die Diamanten. Die Beute. Die Räuber schlafen nie. So bleibt es. Ob Unendlichkeit oder Scheiblettenkäse.
Gott denkt, die Menschen sollten eine Kanzlei für verlorene Fälle einrichten. Eine Kanzlei für Basisgekipptes. Gott sagt auch: Ja, das Paradies war von einer Mauer umgeben. Zum Schutz. Ein Fehler. Mein Fehler. Vielleicht denkt er das. Vielleicht weiß er nicht mehr, was er von uns Menschen, seiner Schöpfung, halten soll.
J. Monika Walther stammt aus einer jüdisch-protestantischen Familie. Schlug an vielen Orten Wurzeln. Studierte, promovierte, zog los in die Welt. Kehrte zurück und wurde sesshaft im Münsterland und in den Niederlanden. Wurde 1976 Schriftstellerin, ist es bis heute. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt „Dorf – Milch und Honig sind fort“ (Geest-Verlag 2020) und „Als Queen Elizabeth II. Schnaps im Hafen von Marne trank“ (Geest-Verlag 2018).
J. Monika Walther
Geest-Verlag
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