Schindermann

Aus dem Alltag

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Heuer würde es keinen Sommer geben. Unten in der Stadt vielleicht schon, das wusste sie nicht so genau. Aber hier oben, wo ohnehin jeder Sonnenstrahl wichtig war, damit das Getreide gedieh, würde es wochenlang regnen. Sie öffnete das hofseitige Fenster und sah hinaus. Im Kartoffelbeet lag ein Fußball.
‚Wochenlang‘, hatte der Schindermann gesagt.

Wind kam auf, als Konrad die Tür schloss. Er sah auf den Berg, der gleich hinter seinem Grundstück steil anzusteigen begann und auf halber Höhe sein grünes Kleid aus Fichten, Tannen, später auch Latschen gegen schroffes Geröll tauschte. Wie schön es hier war, dachte er. Wie einsam. Es war nicht leicht gewesen, das Haus zu finden, es hatte eine Weile gedauert. Beinahe zwei Jahre hatte er gesucht, aber, bei Gott, es war die Mühe wert gewesen.
Vielleicht, dachte er, hatte das Haus ja auch ihn gefunden.

Ein wenig eigen waren die Menschen hier schon, dachte Konrad und entschied sich, heute zu Fuß ins Dorf zu gehen. Immerhin hatte er Urlaub und ein paar Schritte würden ihm guttun. Der Himmel war wolkenlos, es würde nicht regnen.
Ja, ein wenig eigen waren die Menschen hier schon. Gestern erst hatte ihn die alte Zeiringer angefahren, weil er sich lustig gemacht hatte über dieses Geschwätz, dem sie Glauben schenkten. Als ob dieses ständige Gerede vom ‚Schindermann‘ mehr wäre als ein archaischer Aberglaube. Er konnte jedes Mal nur den Kopf schütteln, wenn sie wieder über ihn redeten, als würde er Einfluss auf ihr Leben nehmen. Tatsächlich existieren. Als er in den Waldweg einbog, pfiff er eine Melodie, die er nicht kannte. Er hatte sie gestern gehört, auf irgendeinem Sender, an irgendeinem Ort, im Dorfwirtshaus vielleicht oder im Autoradio. Jetzt ging sie ihm nicht aus dem Kopf.

Wie blind die Stadtmenschen waren, dachte sie. Wie wenig sie vom Leben auf dem Land verstanden. Sie kamen ins Dorf, stiegen aus ihren riesigen Autos, sahen die schmucken Häuser am Hauptplatz und die Blumen auf den Balkonen. Manche waren so in das Bild vernarrt, das sie sahen, dass sie sich einen Bauplatz kauften, den sie dann jahrelang nicht nutzten. Oder ein Häuschen am Waldrand, wie dieser Tomanek, der nichts verstand. Verspottet hat er den Schindermann, verspottet, wieder und wieder. Albernes Gerede sei es, hat er gemeint. Wollte nicht glauben, dass es Mächte gab, die stärker waren als der menschliche Verstand.
Alle schauten sie nur auf die Oberfläche, dachte sie. Die Wurzeln sahen sie nicht.

Eine plötzliche Unruhe trieb sie aus dem Haus. Schob sie über den Hauptplatz, dann in die Kirchengasse, den Waldrosenweg. Immer Richtung Berg. Der Schindermann sei älter als die Berge, hieß es. Heute Nacht erst hatte er ihr gesagt, dass es heuer keinen Sommer geben würde hier im Tal.
Der Schindermann musste es wissen. Er war immer schon hier gewesen.

Gschwendtner atmete schwer. Wo waren die Jahre hin?, fragte er sich. Und die Gesundheit. Er setzte sich auf die Bank, die ihm sein Enkelsohn vor vier Jahren gezimmert hatte. Schön war sie geworden und auf der Lehne hatte sie eine Plakette, auf der sein Name stand. Auf die war er besonders stolz. Er seufzte und legte seine großen Hände auf die Oberschenkel. Seit dieser Bronchitis, die er letzten Winter gehabt hatte, war das Leben mühsam geworden. Mit dem Rauchen hatte er schließlich auch aufhören müssen und zu seiner Überraschung war es ihm nicht einmal schwergefallen. Vielleicht, hatte er gedacht, schmeckt einem am Ende einfach nichts mehr. Nicht einmal eine Zigarette.
Plötzlich stand die alte Zeiringer vor ihm und dann ging alles ganz schnell.

Konrad hob den Kopf. Ein Geräusch hatte ihn aufgeschreckt. Ein wilder, harter Ton. Konnte ein Ton wild sein?, fragte er sich und blickte sich um. Und woher kam er? Auf dem Weg war niemand zu sehen, weder vor noch hinter ihm. Im Wald, der sich zur linken Seite des Weges steil den Hang hinaufzog, war es still. Das Dorf, das rechter Hand lag, konnte er von dieser Stelle aus nicht sehen.
Dann hörte er Zweige knacken.

Zuerst hörten sie ein dumpfes Grollen, wie von einem Erdbeben, das im Ort aber seit Menschengedenken niemand erlebt hatte. Wind kam auf, kam aus dem Nichts, und fegte den Berg herunter, riss Stühle um und Blumentöpfe. Er war eiskalt. Dann ein Schrei, der nichts Menschliches an sich hatte, der sie augenblicklich mutlos machte und innehalten ließ. Dann war es wieder still.
Stiller als zuvor womöglich.

Tomanek, dachte sie und musste sich an der Schulter vom alten Gschwendtner festhalten, der immer noch ein großer Mann war, selbst im Sitzen noch. Tomanek, der nur die Oberfläche sah und nichts verstand. Nichts glauben wollte. Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder und schaute Gschwendtner an, der nichts zu sagen wusste, was zu sagen gewesen wäre.
Tomanek. Wenn sie schlief, würde ihr der Schindermann zeigen, wo er zu finden war.

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