Schatten

Aus dem Alltag

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Wenn es dunkel wurde, warfen die Zweifel Schatten. Schatten, die lautlos durch ihre Seele huschten und einen Raum in ihr in Besitz nahmen, zu dem sie keinen Zugang fand. Kein Schlüssel wollte passen.

Sie drehte sich um und sah zur Tür. Sie musste geschlafen haben, Traumreste klebten noch an ihr, doch sie ließen sich schon nicht mehr fassen und versickerten in der Dunkelheit des Zimmers. Sie blinzelte. Ein Lichtstreifen kroch durch den Spalt, den Tür und Boden ihm ließen, langte nach ihren Pantoffeln. Er erreichte sie nicht.

Ihr Lieblingsteddy lag wach in ihren Armen, forderte stumm Zuwendung ein. Sie drückte ihn fester an sich, musste gähnen. Kämpfte gegen die Müdigkeit an und wusste nicht, warum. Stille hing im Haus wie ein schwerer Vorhang, der alles verdeckte. Nichts preisgab. Sie schloss die Augen, presste ihre Wange an den Bären. Papa hatte ihn ihr geschenkt.

‚Papa‘, dachte sie und rieb sich mit der rechten Hand den Schlaf aus den Augen. Dachte daran, wie ihr Vater lachte, wenn er mit ihr spielte. Wie sein Bart auf ihrer Wange kitzelte oder im Nacken, wenn er sie hochnahm und fest an sich drückte. Wie sein Atem roch und seine Haut, wenn sein Gesicht ganz nah an ihrem war. Als sie an seinen Geruch dachte, war sie hellwach, sie konnte ihn tatsächlich riechen. Konnte Vaters Hände spüren, die über ihren Körper glitten.

Plötzlich warfen die Zweifel Schatten und aus dem Schatten trat ein Mädchen, das aussah wie sie. Es fürchtete sich nicht, wenn die Dunkelheit kam, denn sie war sein Zuhause.

Stille hing im Haus wie ein schwerer Vorhang, als die Tür sich langsam öffnete und das Licht nur scheinbar die Schatten vertrieb. ‚Ist mein Mädchen noch wach?‘, fragte Vater und trat ins Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten.
Dann schloss er die Tür.

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