Die Flügel ausgebreitet. Die Spannweite gemessen.
Sitzen geblieben.
Die Flügel aufgefaltet, die Farben bestimmt.
Sitzen geblieben.
Die Flügel aufgemalt, das Papier zerknüllt,
mich hingehockt.
Die Flügel beschrieben, tausend Worte, hingefallen.
Die Flügel aus einer Weltkarte geschnitten,
Reiseführer gelesen.
Die Flügel aufgehängt, Sprachen gelernt.
Geschwiegen.
Die Flügel ins Auto gepackt und an die See gefahren.
Im Sand gesessen.
Die Flügel auf eine Wiese gelegt, hoch oben.
Im Gras gehockt.
Die Flügel auf einen schneebedeckten Berg geschleppt.
Die Flügel ausgebreitet. Angeschaut. Gestürzt.
Die Flügel in einen Cellokasten gepackt. Meine Flügel.
Den Kasten durch die Stadt getragen.
Die Landstraße gelaufen.
Bis zur Grenze. Still gewesen. Die Flügel geflogen.
Aus:
J. Monika Walther: Abrisse im Viertel. Gedichte 2010-2015. Geest-Verlag, 2015
J. Monika Walther stammt aus einer jüdisch-protestantischen Familie. Schlug an vielen Orten Wurzeln. Studierte, promovierte, zog los in die Welt. Kehrte zurück und wurde sesshaft im Münsterland und in den Niederlanden. Wurde 1976 Schriftstellerin, ist es bis heute. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt „Nachtzüge. Gedichte und gefundene Zettel“ (Geest-Verlag 2021), „Der Mann ohne Hände“ (zusammen mit Monika Detering, Geest-Verlag 2020), und „Dorf – Milch und Honig sind fort“ (Geest-Verlag 2020).
J. Monika Walther
Rezension zu „Abrisse im Viertel“
Die Textrechte dieses Beitrags liegen beim Verlag, die Bildrechte bei Mine Dal.