Von Tauben und Mitmenschen

Gastbeiträge

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Vielleicht waren diese Tauben ursprünglich Brieftauben gewesen. Vor einigen Taubengenerationen. Jedenfalls waren sie schön, die meisten von ihnen mit hellgrauem Gefieder. Mit einem zarten Ring um den schlanken Hals.
Brieftauben, ja, warum nicht, das konnte gut sein. Brieftauben, die sich jemand gehalten hatte, der früher hier gewohnt hatte. Und ihre kleinen Köpfe hatten die Aufgabe, die ihre Vorfahren erfüllt hatten, noch in Erinnerung. Vielleicht erwarteten sie von Spielmann, dass er ihnen eine Botschaft anvertraute.
Aber welche Botschaft hätte er ihnen anvertrauen können? Und wer sollte diese Botschaft empfangen? – Spielmanns Gedächtnis, Spielmanns Vermächtnis. Was lachst du/was machst du? – Du könntest in die Küche gehen und Kaffee machen, sagte Paula.

Er ging in die Küche, füllte Wasser und Kaffee in die Espressomaschine, drehte am Gashahn. Betätigte den Anzünder. Der Funke sprang. Aber der leichte Gasgeruch, der ihm seit Jahren vertraut war, ließ eine Weile auf sich warten. Dann war die Flamme da, erst wie eine kleine Blume mit gelb zitternden Blütenblättern, nach und nach beruhigt und beruhigend Blau, wie sie sein sollte. Es funktioniert noch! rief Spielmann und öffnete das Fenster zum Lichthof.
Ein oder zwei Stockwerke tiefer spielte jemand ein Game, das klang nach Krieg.
War das der schwere Mann, der mit mutmaßlich slawischem Akzent grüßte, wenn man ihm auf der Treppe begegnete?
In der Nacht wälzte er sich in einem quietschenden Bett, stöhnte. Manchmal schrie er laut auf – wahrscheinlich in Alpträumen.
Vor zwei Nächten waren sie schon versucht gewesen, hinunter zu rufen.
Entschuldigen Sie, aber das ist unmöglich! Wir wollen das nicht mitanhören!
Aber dann hatten sie gehört, wie die Frau den Mann beruhigte.
Sie redete sanft auf ihn ein. Vielleicht streichelte sie ihn.
Spielmann schloss das Fenster wieder. Der meiste Gasgeruch war jetzt draußen. Der Rest wurde vom Kaffeegeruch überlagert. Vom Duft des Kaffees, der nun leise brodelnd in der Kaffeemaschine aufstieg. Spielmann goss den Kaffee in zwei Tassen, stellte sie auf ein Tablett, und ging damit zurück auf die Terrasse.

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Cosa fai?

Peter Henisch, geboren 1943 in Wien. Nachkriegskindheit, Wiederaufbaupubertät, Studium. Mitarbeit in der Wiener „Arbeiterzeitung“. Mitbegründer der Literaturzeitschrift „Wespennest“. Seit etwa 1975 freischwebender Schriftsteller.
Literarischer Durchbruch mit „Die kleine Figur meines Vaters“. 2005 mit „Die schwangere Madonna“ und 2007 mit „Eine sehr kleine Frau“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.
Zuletzt erschienen: „Der Jahrhundertroman“, Residenz-Verlag, Salzburg 2021, „Das ist mein Fenster. Fast alle Gedichte und Songs“, Sonderzahl 2018 und „Siebeneinhalb Leben“, Deuticke 2018.
Peter Henisch
Rezension zu „Der Jahrhundertroman“

Die Text- und Bildrechte dieses Beitrags liegen bei Peter Henisch.

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