Wenn man die Fähre nimmt, muss man sich richtig positionieren. An einem Ort, an dem man alles sieht, hört und riecht. Zum Beispiel in der Nähe des kaputten Fahrkartenautomaten, der weder die Kreditkarten noch das Bargeld der Passagiere akzeptiert. Man sieht die roten Gesichter der Passagiere. Man sieht den tätowierten Anker am Hals des Schiffsjungen, der die Rampe für die Fahrgäste herunterlässt und wieder einzieht und zwischendrin den Fahrkartenautomaten auch nicht zur Vernunft bringen kann. Man sieht den Schmutz an den Fensterscheiben und riecht den Schiffsdiesel. Auf dem zweiten Deck oben gibt es Eis, Bier, Pommes und Würstchen, und auch das riecht man. Die Kinder schreien, die Hunde bellen, die Leute erklären sich gegenseitig, was sie sehen. Na klar, auf dem Kreuzfahrtschiff steht, dass man immer 50 Meter Abstand halten muss, denn es ist eine Majestät. Schau, die Kriegsmarine. Diese Segelboote, diese Ruderboote, dieser Strand mit Strandkörben! Man riecht, wenn ein Sitznachbar zwei Reihen weiter Raucher ist. Die Schulklassen sind besser organisiert als früher, und die Kinder sind auch braver, müssen sich nicht aus Protest oder Langeweile übergeben. Die Fähre ist so langsam, aber wenn man sie mit dem nahegelegenen Ufer des Fjords oder anderen Booten und Schiffen vergleicht, dann ist sie plötzlich sehr schnell. Schippern und sausen. Es summt und es wummert. Eine Sirene tutet jedes Mal beim An- und Ablegen. Der zweite Schiffsjunge, schon eher ein Maat, ruft den Wartenden auf dem Anleger zu, dass doch die Leute erst aussteigen müssen. Die Leute! Jeder Vorgang hat seinen eigenen Rhythmus und alle zusammen ergeben ein Stück. Das musst du auf dich wirken lassen, optisch, akustisch, olfaktorisch, taktil. Dann kannst du dich am Bug aufstellen und Wind aufsammeln. Dann ist es wie ein leicht schaukelnder Traum, hin und wieder zurück.
Marcus Hammerschmitt, *1967 (Saarbrücken), Schriftsteller, Journalist, Fotograf. Zuletzt: „Halbdunkles Licht“, Schiler & Mücke, Tübingen/Berlin (2022), „Rom“, Schiler & Mücke, Tübingen/Berlin (2021) und „Die Teufelsinsel“, Edition J. J. Heckenhauer, Tübingen (2020)
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