Wechselbad

Aus dem Alltag

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Ich weiß noch, dass ich las, in einer Tageszeitung wohl, als ich ihre Stimme hörte. Überrascht, neugierig auch, sah ich auf, lächelte schief. Da saß sie, tatsächlich, auf dem Platz gegenüber, musste zugestiegen sein in der letzten Station. Ich wollte etwas sagen, ein paar Worte bloß, doch sie fanden sich nicht; ich blieb stumm. Jemand hustete, schräg hinter mir; ein Kleinkind schrie nach seiner Mutter; ich neigte den Kopf, blinzelte. Konnte nicht glauben, dass ich sie wiedersah, nach so langer Zeit. Wie lange, fragte ich mich, war es her?

Sie hatte mich nicht bemerkt, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, sprach mit dem Mann, der neben ihr saß. Ihrem Mann, dachte ich. Ich senkte den Kopf, schob meinen Blick in die Zeitung, las weiter. Das Gelesene verstand ich nicht. Der Zug wurde langsamer, eine Stimme, unverständlich nahezu, verkündete den nächsten Halt. Dreißig Jahre, dachte ich. Es mussten dreißig Jahre sein. Der Zug hielt, die Türen öffneten. Eine Frau, jung, schlank, setzte sich neben mich, ihr Blick klebte am Display des iPhones, das sie in der rechten Hand hielt. Ich sah auf, erneut, wollte wohl wirken wie einer, der gedankenverloren in die Menge schaut. Sie sah mich nicht, hatte den Kopf zur Seite geneigt. Sprach mit dem Mann, ihrem Mann, über die Kinder und einen Flug, den sie erreichen musste, anderntags, zu einer nachtdunklen Stunde. Kinder also. Ich biss mir auf die Lippe. Über Kinder hatten wir nie gesprochen; zu jung waren wir, zu früh gingen wir auseinander. Ihre Haare sind grau geworden, dachte ich. Wie meine. Dreißig Jahre, dachte ich, verlor mich in Erinnerungen. Der Zug hielt wieder, Menschen stiegen aus und ein. Drei Stationen noch. Drei Stationen, die es stumm zu dulden galt; der Moment, der richtig schien für ein unverstelltes Wort, war verstrichen. Der Moment, der richtig schien, dachte ich. Vor vielen Jahren, dass ich ihn verpasst hatte. Nicht heute. Ich lächelte, bitter, kraftlos. Die junge Frau neben mir stand auf, stieg aus dem Zug. Ein Mädchen, zwölf vielleicht, nahm ihren Platz ein, klammerte sich an eine knallpinke Schultasche. Noch zwei Stationen. Ich sah nicht mehr auf.

Als ich den Zug verlassen hatte, auf der Rolltreppe stand, hinter zwei Buben, die einander von einem Spiel erzählten, das es zu spielen galt, unbedingt, fragte ich mich, warum wir uns getrennt hatten, vor dreißig Jahren, was die Nichtigkeit war, die uns entzweit hatte, schlussendlich.

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