Kassiber

Aus dem Alltag

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Mein lieber Sohn. Es hat lange gedauert, bis ich Dir antworten konnte; ich musste erst geeignete Wege finden. Diskrete Wege. Dies, Du weißt es, ist nicht einfach in der Welt, die wir uns geschaffen haben.

Dein Brief also. Ich habe ihn so oft gelesen, dass das Papier schon unter meinen Händen zerfällt. Und auch ich will ehrlich zu Dir sein: ich habe Angst um Dich. Der Krieg, Du sagst es ja, hat ein hässliches Gesicht. Doch mag es auch manchmal so scheinen: er tötet nicht wahllos. Drum, ich bitte Dich, sprich nicht allzu freimütig mit Deinen Kameraden. Sei geduldig und bedenke, dass die fremde Kugel Dich finden mag oder nicht, jene aus den eigenen Reihen Dir aber gewiss ist, hebst Du den Kopf zur Unzeit. Die Zeit für offene, beherzte Worte, sie wird wiederkehren, glaub mir. Sie kehrt immer wieder. Einstweilen aber verliere weder Mut noch Menschlichkeit und halte mit jenen Worten haus, die Du zu einem weit früheren Zeitpunkt hättest sagen sollen.

Du weißt, dass ich nie verstanden habe, mit welcher Begeisterung Du jenen Glücksrittern folgtest, die Du heute anprangerst. Ihre Parolen waren falsch und hässlich, immer schon. Ihr Scheitern war Notwendigkeit. Wie hätten sie die Probleme auch lösen sollen mit ihrem derben Geschrei und dem Gehabe eines törichten Gutsherrn? Dass sie dann diesen Krieg begannen, der jeden, der sich ihm verwehrt, zum Volksfeind macht – sag mir, mein Sohn, überrascht es Dich wirklich? Wer den Henker ins Haus rief, der muss ihn auch bewirten.

So also haben wir uns zu ihren Knechten gemacht, auch wenn sie ganz anderes versprochen haben. Doch wir werden es nicht ewig bleiben; und dieser Gedanke, hoffe ich, wird Dich ein wenig trösten, solange Du im Schlamm fremden Bodens hocken musst. Und nein, mein Sohn, ich lache nicht. Wie könnte ich lachen, wenn ich Dich im Krieg weiß? Doch dieser Krieg, wie jeder zuvor, wird enden. Und Du, Du sollst am Leben sein, wenn diese Stunde endlich kommt.

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