Das Christkind macht heut‘ Überstunden

Aus dem Alltag

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Ich glaub‘, jetzt hab ich’s gehört, das Christkind. Aufgeregt wie ich bin, bekomm ich kein Wort raus und schau nur stumm zur Oma hin. Die schaut ebenso stumm zurück und sagt nix. Aber aufgeregt wirkt sie nicht. Dann steht sie auf und macht uns was zu trinken, einen Kakao für mich und einen Malzkaffee für sich selber. Ich fass‘ es nicht. Wie kann man so ruhig sein, wenn das Christkind einen Stock tiefer zugange ist und Mama und Papa hilft, den Christbaum und die Geschenke herzurichten? Aber die Oma ist ja schon älter, für die ist das wahrscheinlich nicht mehr so aufregend. Und dann kommt mir ein Gedanke, ganz unglaublich ist der eigentlich. Vielleicht hat sie das Christkind ja schon einmal gesehen?

Nach Stunden, wie mir scheint, hat dann meine Mutter mit dieser kleinen Glocke mit dem hellen Klang geläutet und anfangs hab ich mich noch richtig beeilt, die Stufen runterzukommen, damit ich vielleicht noch das Christkind seh‘. Aber das war irgendwie immer schneller als ich und angeblich grad ums Eck verschwunden, wahrscheinlich weil es ständig in Eile war. Was jetzt aber da war, war der Christbaum. Der war so geschmückt wie eigentlich eh jedes Jahr, mit ganz vielen Kugeln und ordentlich Lametta und natürlich einem Stern obendrauf. Und unterm Baum die Geschenke. Aber vor den Geschenken noch das ‚Vater unser‘ und gleich noch ein ‚Gegrüßet seist du, Maria‘ hinterdrein, das haben wir immer so elegant übergangslos aufgesagt, dass ich eine Zeit lang geglaubt hab, dass das ein einziges Gebet ist. Zum Schluss noch das ‚Stille Nacht‘ obwohl keiner von uns richtig singen hat können. Und dann war’s erledigt, das Pflichtprogramm, und man durfte ran an die Geschenke.

Lange gedauert hat er nicht, der bedingungslose Glaube ans Christkind. Da hat sich schon recht bald die Skepsis breitgemacht, dass es ja nicht überall gleichzeitig sein kann, so begnadet kann nicht einmal das Christkind sein. Und so lang wie die da unten brauchen, geht sich das nie und nimmer aus, da wird’s ja schon in unserer Gasse nicht fertig, geschweige denn im ganzen Dorf. Wenn man die Dinge nüchtern betrachtet – was am Heiligen Abend prinzipiell nicht so einfach ist -, bleibt nur eine Erklärung: da muss es Helfeshelfer geben. Und diese Handlanger des Christkinds sind keine Geringeren als meine Eltern.
Aber eine Frage blieb trotzdem offen: wozu die ganze Heimlichtuerei?

Ob jetzt aber heimlich oder nicht, hat dann im Angesicht der Bescherung ohnehin an Bedeutung eingebüßt. Denn unterm Baum, da lagen im Lauf der Jahre viele schöne Dinge. Da war etwa dieses Parkhaus für meine Matchbox-Autos, mit drei Etagen und einem Aufzug zum Kurbeln. Oder, in einem anderen Jahr, diese wunderbare Looping-Bahn, die man mit etwas Fantasie auch in eine Sprungschanze verwandeln konnte. Wenn man die Umsicht hatte, den Aufsprung mit einer Schaumstoffmatte und einer Decke zu polstern, konnte man die Autos sogar öfters als einmal über die Schanze jagen. Eine Lektion, die ich mir bedauerlicherweise nur a posteriori angeeignet habe, nachdem sich mein Lieblingsauto nach der Landung in seine Einzelteile zerlegt hatte. Oder das aufklappbare Feuerwehrhaus für die langsam, aber stetig wachsende Lego-Stadt, das aus einer beachtlichen Anzahl von Steinen bestand. Da hat man schon eine Weile gebaut dran.

Und dann natürlich die großartige Carrera-Bahn. Da hat aber mein Bruder beim Aufbau sicher dem Christkind und meinem Papa geholfen, weil sonst wär‘ das, glaub ich, nix geworden. Außer vielleicht ein Stück Technik-Schrott, der zu nichts anderem gut gewesen wäre, als die Zahl der Scheidungskinder in österreichischen Haushalten zu erhöhen. Die Carrera-Bahn war ein echter Hit. Mit Steilkurven und Leitschienen und zwei Autos, die verschiedener nicht hätten sein können, das weiße mit mehr Speed auf der Geraden und das rote mit deutlich mehr Grip in den Kurven. Da ist dann selbst das Weihnachtsfest an uns vorbeigerast wie die Autos an der Zielflagge.

Meine Großmutter ist lange tot. Zur Frage, ob sie je das Christkind selber gesehen hat, hat sie sich nie eindeutig geäußert.
Mein Bruder hat eine eigene Familie gegründet und das magische Spiel mit dem Christkind mit seiner Tochter fortgeführt. Es war die Zeit, in der der Weihnachtsmann bereits zur handfesten Konkurrenz geworden war.
Der Christbaum meiner Eltern steht immer noch Jahr für Jahr am selben Platz, auch wenn er mittlerweile kleiner geworden ist und kein Lametta mehr trägt. Die kleine Glocke mit dem hellen Klang liegt nach wie vor darunter.

‚Stille Nacht‘ wird bei uns heute von Doris‘ Opa gesungen. Es ist eine Aufnahme aus dem Jahr 1974 und er singt furchtbar falsch. Und obwohl es weder rhythmisch noch melodisch klingt, bedeutet es für uns doch eines:
Weihnachten.

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