A mon seul desire

Gastbeiträge

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Vor diesen Teppichen in Paris, im Musée de Cluny, vor diesen Teppichen mit dem Einhorn und der Königin, der Dame, stand ich Stunden, bis es mich nicht mehr gab, bis ich Teil der Teppiche und der Geschichte war, hineingewoben.
A mon seul desire, nimmt sie den Schmuck aus der Schatulle oder legt die Dame ihn hinein, um ein anderes Leben zu führen? Meinem einzigen Begehren. Am Beginn zweier Wege zu stehen und welchen soll ich nehmen? Wenn ich versprochen habe zu gehen, wenn ich nicht stehen bleiben kann an der Gabelung und abwarten, ob mir jemand entgegenkommt. Wenn ich gehen muss? Ist der nicht begangene Weg der bessere?

A mon seul desire. Jeden Tag, den ich in Paris war, ging ich zu diesen Teppichen. Danach lief ich durch die Sorbonne bis zu einem kleinen Restaurant und aß Muscheln. Oder ein Menü. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das es nach materiellen Schätzen giert. Nach dem Mehrwert der Dinge.
A mon seul desire. Wer wäre ich gerne gewesen? Die Dame, die Zofe, das Einhorn, ein Affe, der Löwe? Welches Begehren trieb mich durch mein Leben? Aus dem Bett im Hotel baumelte mein Fuß, ich schaute ihn an und wurde verrückter. Nein, die Dame wollte ich nicht sein. Doch lieber die Betrachterin auf den Samtbänken im Halbdunkel?
Alles, was wir sehen und worüber wir uns wundern oder in das wir uns verlieben, ist bereits geschehen. Es ist längst auf dem Weg fort von uns, fort für immer. Wenn der Blick einer anderen dich erreicht, ist sie schon längst eine andere, dann ist es schon zu spät. Ein Satz kann Leben verändern. Ein Satz, der einem in einer endlosen Zeitverzögerung mitgeteilt wird. Eine Geste, die verrät. Den Bezug zwischen den Menschen.

In einer der Himmelsimbissbuden, einer jener, in denen sich die menschlichen Engel aus Himmel und Hölle und Fegefeuer begegnen und ihre Geschichten immer wieder erzählen, die erklären sollen, warum ihr Leben so und nicht anders verlaufen ist, warum sie oder er damals nicht mit Mascha, Irena oder Alberto in den Zug gestiegen sind, warum sie ihre Seele vertrunken haben, warum sie Befehlen folgten und von der Bahnsteigkante zurücktraten, bezahlte ich mit einem der großen Tausenderscheine. Ich wollte bezahlen, aber keiner der Engel, weder die nüchternen noch die betrunkenen, nahmen das bedruckte Papier. Sie berührten den Schein nicht. Sie lächelten. Sie gaben den Drink aus und mir den Rat, Kleingeld zu besorgen. Das sei im Leben wichtiger noch als Gold, kostbarer Schmuck und die großen Scheine. Sie zeigten mit den Fingern nach unten auf die Gegend um die Ottostraße, dann Richtung der Seen, südlich von München. Sie sagten: Zum Beispiel. Wir könnten auch überallhin zeigen. Die meisten Einwohner haben sich aus Sehnsucht nach Sicherheit und einem neuen Leben hierher gerettet. Ja, auch die Rechten. Aus dem aufregenden Berlin sind sie geflohen: hier lässt es sich leben. Und trinken, immer weiter trinken. Rechthaberisch ist hier niemand, hier hat jeder Recht und niemand hört zu oder will es so genau wissen. Und die meisten wissen ja, welche Leichen sie wo im Keller haben und wie dreckig die Stecken sind.
Die Engel lächelten.

J. Monika Walther stammt aus einer jüdisch-protestantischen Familie. Schlug an vielen Orten Wurzeln. Studierte, promovierte, zog los in die Welt. Kehrte zurück und wurde sesshaft im Münsterland und in den Niederlanden. Wurde 1976 Schriftstellerin, ist es bis heute. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt „Nachtzüge. Gedichte und gefundene Zettel“ (Geest-Verlag 2021), „Der Mann ohne Hände“ (zusammen mit Monika Detering, Geest-Verlag 2020), und „Dorf – Milch und Honig sind fort“ (Geest-Verlag 2020).
J. Monika Walther
Nachtzüge

Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei J. Monika Walther, die Bildrechte bei Doris Lipp.

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