Begegnung

Aus dem Alltag

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Im Schatten der kleinen Stunden trat ich ans Fenster, sah auf die Straße. Ich wollte rauchen, tat es nicht. Eine seltsame Unruhe hockte in mir; in meiner Seele hingen die Trümmer eines unfertigen Traums. Ich öffnete das Fenster, tat zwei tiefe Atemzüge. Die Nacht roch nach Schnee und fauligem Laub. Als ich den Kopf hob, zum Himmel sah, flogen zwei Tauben auf, zogen dachwärts. Irgendwo, nahe, schlug ein Fensterflügel im Takt einer lustlosen Brise. Der Mond warf fahles Licht in die Gassen; warf es auch auf den Mann, den ich erst bemerkte, als ein Windstoß durch die Straße strich, sein Mantel sich bauschte. Er stand an der Kreuzung, reglos, stumm; wirkte, so dachte ich gleich, als hätte die Zeit ihn vergessen. Etwas in mir erschrak, schärfte meine Sinne. Ich besah ihn genauer, bildete mir ein, an der Silhouette, der Körperhaltung [die leicht gebeugten Knie! die baumelnden Arme!], ja, selbst der Kleidung jenen Mann zu erkennen, der mir so vertraut war über all die Jahrzehnte: meinen Vater. Ich rieb mir die Augen; wusste, dass ich falschlag, falschliegen musste. Vater lebte nicht mehr. Ich überlegte, dem Mann, der an der Ecke stand, Wer bist du? zuzurufen, und wusste doch, dass es albern wäre, ließ es sein. In jenem Moment, da ich begriff, dass ich untätig blieb, bleiben würde, wandte er den Kopf, hob den Arm. Er sah nicht in meine Richtung. Wem, fragte ich mich, mochte sein Gruß gegolten haben? Wer stand noch am Fenster, hielt Ausschau? Ich schluckte, wandte mich um, ging zum Esstisch. Gierig griff ich nach den Zigaretten, dem Feuerzeug. Meine Hände zitterten. Irgendwo, nahe, schlug ein Fensterflügel gegen den Blendrahmen.

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