da liegt ein schatten überm achten eck
so dass der ausgang fehlt. die hütte steht
am rande einer sonntagsrast. ihr dach
beleuchtet eine blinde sonne. die wände

sind aus knochen einer birkenherde und
schreiben kreuze in den weichen tag. man
könnte sich auch riesenfarne denken die
dort ihr rippenfleisch verloren haben. auch

wäre eine fremde schrift die niemals lesbar
war ein grund für kühne zwerggedanken.
und doch ist dies kein märchenwald. denn
nur der hund darf unscharf werden vorn im

zentrum eines ungekämmten rasenstücks.
die sonstige bevölkerung blickt stramm
gescheitelt und gesittet streng nach vorn:
ein tantentrio an der seitenlinie und ein

kindquartett im bleichen hemd. da strahlen
sonntagskaros und da blinkt ein spangenschuh.
die künden wie der kleidersaum von waldgehege
und von seelenruh im kurzen zwischenkrieg.

das soll nicht heißen dass die hütte dort ins
offne führt. dass birkenstämmchen fensterloch
und luftstruktur die rettung wärn für schlimme
zeiten die noch kommen. ich weiß ja mehr: weiß

dass die blasse sonntagslust ein trugschluss
war. dass vater mutter kind und hund nicht
beieinander blieben. und dass der junge dort
am rechten rand auf den der hellste flecken fällt

ein meister wurde dunkler überredungskunst
und ein gefährlich sonnenkind. dass er in ferne
birkenwälder zog und sich ein kreuz zusammenhieb
das er als mahnmal überm scheitel trägt.

das weiß ich und ich weiß es nicht. denn wieder
ist die zeit nur ein dazwischen. wieder liegt
ein schatten auf der tür. und wieder sind wir
kaum gehegt in sonntäglicher waldfreiheit.

Aus:
Sabine Göttel: Im Gefieder, Röhrig Verlag 2022

Sabine Göttel stammt aus der Saarpfalz. Sie studierte deutsche und französische Literatur, promovierte über Marieluise Fleißer, arbeitete als Theaterdramaturgin und lebt als Autorin, Dramaturgin und Dozentin in Hannover. Für ihre Gedichte erhielt sie 2023 den Feldkircher Lyrikpreis und 2022 den Kurt-Sigel-Lyrikpreis des PEN-Zentrums Deutschland. 2019 war sie Stipendiatin des Printemps Poétique Transfrontalier.
Zuletzt erschienen die Lyrikbände „Grillenliebchen“. Gedichte, Wehrhahn Verlag, Hannover 2023; „Im Gefieder“, Gedichte (2022) und „Geister“, Gedichte (2020) – beide im Röhrig Verlag, St. Ingbert.
Sabine Göttel
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Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei Sabine Göttel. Das Bild stammt aus der Dorfchronik „Gries/Pfalz. Gestern und heute“, herausgegeben von der Ortsgemeinde Gries im Jahr 2002.