auf der continental fünfzig baujahr neunzehndreißig der
wanderer werke chemnitz schrieb ich mit zehn meine ersten
speisekarten ich wuchtete die maschine auf den küchentisch
schälte sie aus dem schwarzen koffer in dem sie nie gereist
war und genoss die ausdünstungen des farbbands das sich
mir freundlich entgegen wellte ich wählte
aus dem offenen maul mit der geschwungenen reihe silberner
zähne vornehmlich die buchstaben mit schattigem kopf die
zahlen mit geblähtem bauch den punkt der das papier durch
schlug auch beglückte mich das komma das mit dem schwanz
wedelte wenn ich wellfleisch mit kartoffeln und sauerkraut
anpries fünfmarkachtzig brauchen eine saubere
trennung wie die zweimarksechzig die ich für ein kännchen
kaffee mit selbst gebackenem kuchen ansetzte dosenmilch
und würfelzucker gab es gratis dazu für eine portion sahne
sah ich dm nullkommafünfzig vor die fünf provozierte die null
mit ausgestrecktem bein das gefiel mir wie die ununterscheid
barkeit der beinanzahl von m und n die über das schnitzel
mit pommes krochen wofür ich immerhin achtkommaneunzig
verlangte denn das fleisch stammte vom bauern mit den
rissigen händen es war fein und zart wie das geschwungene
ä ich verewigte es im eisbächer den ich in anführungszeichen
schwarzwälder taufte ich kochte und komponierte meine speisen
bis mir die karte ausgewogen erschien und ich ein menu sah
an dem selbst die rücktaste nichts mehr verbessern konnte auch
achtete ich darauf mich nicht zu verschreiben was bei problemen
mit dem transport durchaus vorkam oder wenn ich vergaß den
umsteller auf groß zu betätigen so dass mir ein gericht rollbratete
oder sein preis zu niedrig ausfiel weil zwei zahlen auf der stelle
traten und übereinander herfielen nie bekam ich genug von dem
was mir die walze da appetitlich von links nach rechts von oben
nach unten transportierte dem ich mit einem entschlossenen
klaps auf den schalter zu immer mehr zeilen und zu wirklichkeit
verhalf so lernte ich das tippen vielmehr das schlagen der
tasten das überwinden eines widerstands bis der typenhebel
scharf ins eingespannte papier biss und ich
die verschiebung der kontinente rückseitig ertastete
Aus:
Sabine Göttel: Im Gefieder, Röhrig Verlag 2022
Sabine Göttel stammt aus der Saarpfalz. Sie studierte deutsche und französische Literatur, promovierte über Marieluise Fleißer, arbeitete als Theaterdramaturgin und lebt als Autorin, Dramaturgin und Dozentin in Hannover. Für ihre Gedichte erhielt sie 2023 den Feldkircher Lyrikpreis und 2022 den Kurt-Sigel-Lyrikpreis des PEN-Zentrums Deutschland. 2019 war sie Stipendiatin des Printemps Poétique Transfrontalier.
Zuletzt erschienen die Lyrikbände „Grillenliebchen“, Gedichte, Wehrhahn Verlag, Hannover 2023; „Im Gefieder“, Gedichte (2022) und „Geister“, Gedichte (2020) – beide im Röhrig Verlag, St. Ingbert.
Sabine Göttel
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