Corona

Aus dem Alltag

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Vielleicht ist es die Ohnmacht, die uns so beunruhigt. Das Wissen, kein rechtes Mittel zur Hand zu haben gegen eine Bedrohung, die nicht zu sehen ist und doch allgegenwärtig scheint. Die dämmernde Erkenntnis, vom Zaungast bald zum Hauptakteur zu werden. Corona rückt uns nahe.
Wie schützt man sich vor einer Krankheit, die zügig ihre Schneisen schlägt?

Er hustet, bis er kaum mehr atmen kann. Vier Stationen schon sitzt er mir gegenüber und ich hätte nicht zu sagen gewusst, welche Farbe seine Jacke hat, ob er langes Haar hat oder kurzes. Im Grunde habe ich ihn kaum wahrgenommen, bis auf das eine Mal, als er sich geräuschvoll geräuspert hat und ich seinen Atem riechen konnte, der nach Zigaretten schmeckte und langen Nächten. Das war mir Nähe genug. Ich musste nicht auch noch wissen, welchen Kleidungsstil er bevorzugte oder ob er eine Schwäche für aufdringliche Farben hatte.
Dann bekam er einen Hustenanfall.

Acht Sekunden später habe ich ein präzises Bild von ihm. Ich weiß, dass seine Jacke rot, sein Haarschnitt teuer und sein Gefühl für Komplementärfarben bedenklich ist.

Er hustet mir direkt ins Gesicht. Zweimal, kurz hintereinander, es wird wohl nicht mit Absicht sein. Ich schließe instinktiv die Augen, reiße meine rechte Hand vor Mund und Nase und unterdrücke einen derben Ruf. Dann blicke ich wieder auf und ertappe mich dabei, wie ich herauszufinden suche, ob seine Augen glasig sind. Mein Empathieniveau liegt beängstigend niedrig. In Zeiten, in denen sich Corona-Viren hurtig neue Märkte erschließen, reagiere ich unwirsch auf Aktionen dieser Art. Mittlerweile sehen ein gutes Dutzend Menschen auf den Mann, der sich nun hustend krümmt, und jeder rückt ein Stückchen weiter weg von ihm. Viel freier Raum ist nicht in dieser U-Bahn.
Ein Murren macht sich breit, eine verächtliche Bemerkung fällt. Scharf und kalt und laut genug, damit sie auch vernommen wird. Der Mann, zum freien Atmen wieder fähig, schaut zu Boden, schaut zu uns und murmelt dann ‚Entschuldigung‘. Er blickt in keine freundlichen Gesichter. Ein Lächeln sieht er nicht.

Wie schützt man sich vor einer Krankheit, die zügig ihre Schneisen schlägt? Wie furchtsam, streitbar, wütend gar begegnen wir dem Nächsten?

Wieder auf der Straße, rufe ich Doris an. ‚Vielleicht sollten wir heute doch ein paar Vorräte einkaufen‘, sage ich. Wohl ist mir nicht dabei, die Hysterie ist mir zuwider. Und doch äußere ich erstmals den Gedanken, den ich bislang nicht einmal denken wollte. Das Telefon am rechten Ohr, die Aktentasche in der linken Hand, das Büro bereits in Sichtweite, eilt mir ein Mann entgegen. Er trägt eine Schutzmaske. Ich richte den Blick zu Boden und beschleunige meinen Schritt.

Die Nachrichten verheißen nichts Gutes. Unausweichlich scheint zu sein, was vor Wochen noch undenkbar war. Die Welt, sie lässt sich nicht aussperren, behelligt uns mit ihren dreisten Unzulänglichkeiten, die einem noch nicht nahe gingen, solange sie im Fernsehen waren. Corona ist nun unter uns.

Wie viel Hysterie, frage ich mich, werden wir zulassen? Wie weit wird uns die Furcht treiben? Welche Dinge werden wir tun, wenn wir uns letztlich selbst die Nächsten sind?
Ich schalte den Fernseher aus, drehe mich zu Doris und gebe ihr einen Kuss. Ich zähle darauf, dass die Zeiten wiederkommen werden, in denen Corona nichts weiter ist als das, was es zuvor schon war.

Eine hippe mexikanische Biermarke.

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