Der Bahnsteig in Perpignan

Gastbeiträge

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Auf einem Bahnsteig in Perpignan
steht eine Frau in einem grauen Kostüm
im Stil des staubigen Sonnenuntergangs

Die Luft ist still
die leichte Brise beißt sie nicht
denn auch sie
ist still

Irgendwo ist ein Klotz Eichenholz dabei
sich in Eichenholzgeruch zu verwandeln

Im Kopf der Frau sind zwei Zimmer

Im vorderen steht ein schmucker Stuhl
mit weichem Polster
der dazu einlädt sich hinzusetzen und darüber nachzudenken
wie fordernd es ist ein Mensch zu sein
Dem Stuhl gegenüber ist eine Tür
die man benutzen darf – falls gewünscht

Im hinteren Zimmer ist
kein Stuhl
Es hat sieben Türen

Jede von ihnen führt auf den Bahnsteig
in Perpignan
Dort steht eine Frau in einem grauen Kostüm
im Stil des staubigen Sonnenuntergangs

In ihrem Kopf sind zwei Zimmer

Aus:
Ragnar Helgi Ólafsson: „Laus blöð / Lose Blätter“. Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
Der zweisprachig edierte Band erschien im September 2023 als Hardcover mit 304 Seiten im ELIF Verlag.

Ragnar Helgi Ólafsson, geb. 1971 in Reykjavík / Island, studierte an der Universität von Island Philosophie, Filmregie an der New York Film Academy und im Anschluss in Frankreich zunächst Französisch in Marseille und danach Kunst in Aix-en-Provence. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller ist er in den letzten Jahren vornehmlich als Grafikdesigner, bildender Künstler und Verleger tätig.
Für seinen ersten Gedichtband Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können (2015 / ELIF Verlag 2017) wurde er mit dem Tómas Guðmundsson-Poesie-Preis ausgezeichnet, für seine Story-Sammlung Handbuch des Erinnerns und Vergessens (2017 / ELIF Verlag 2020) war er für den Isländischen Literaturpreis in der Kategorie Belletristik nominiert, für das Ein Requiem genannte Buch Die Bibliothek meines Vaters (2018) in der Kategorie Sachbuch. Sein Gedichtband Lose Blätter (2021 / ELIF Verlag 2023) war für den Literaturpreis des Nordischen Rats 2023 nominiert.
Ragnar Helgi Ólafsson lebt und arbeitet in Reykjavík.

Jón Thor Gíslason, geb. 1957 in Hafnarfjörður, lebt seit Anfang der 1990er Jahre als bildender Künstler in Deutschland, derzeit in Düsseldorf. Bis 1988 war er professioneller Popmusiker in Island, danach absolvierte er ein Aufbaustudium (Meisterklasse) an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart. Er arbeitete zeitweise als Korrespondent in Deutschland (Kunst und Kultur) für die isländische Tageszeitung Morgunblaðið. In Zusammenarbeit mit Wolfgang Schiffer veröffentlichte er diverse Übersetzungen isländischer Lyrik, vor allem für den ELIF Verlag.
Jón Thor Gíslason

Wolfgang Schiffer, geb. 1946 in Nettetal/Lobberich, studierte Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften; er arbeitete beim Rundfunk und veröffentlichte Hörspiele, Bühnenstücke, Romane und Lyrik, hier u.a. die Gedichtbände „Kalt steht die Sonne“ (Claassen Verlag 1983) sowie „Die Saison geht zu Ende – Ausgewählte Gedichte“ (Aphaia Verlag 2014), „Dass die Erde einen Buckel werfe“ (ELIF Verlag 2022), „Gespräche mit dem Enkel“ (Corvinus Presse 2024) und aktuell „Ich höre dem Regen zu“ (ELIF Verlag 2024). Er ist außerdem als Herausgeber und Übersetzer tätig, insbesondere isländischer Literatur, in den letzten Jahren verstärkt in Zusammenarbeit mit dem isländischen Künstler Jón Thor Gíslason und überwiegend für den ELIF Verlag, der bislang neun in gemeinsamer Übersetzung entstandene Bände zeitgenössischer isländischer Lyrik sowie einen Erzählungsband veröffentlicht hat.
Wolfgang Schiffer erhielt für seine Arbeiten mehrere literarische und kulturelle Auszeichnungen, u. a. das Ritterkreuz des Isländischen Falkenordens und den Isländischen Kulturpreis des Fonds Islands Banki; er lebt in Köln und in Prag.
Wolfgang Schiffer

Gemeinsam gestalten Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer außerdem die Reihe Wortlaut Island in der Online-Literaturzeitschrift Signaturen-Magazin, die zweimal im Monat Übersetzungen zeitgenössischer Lyrik aus Island vorstellt.

Die Rechte am Originaltext liegen beim Autor, die der deutschen Übersetzung beim Verlag. Die Bildrechte am Foto liegen bei Wolfgang Schiffer, am Layout bei Arnd Schäfer.


BRAUTARPALLURINN
Í PERPIGNIAN

Á brautarpalli í Perpignian
stendur kona í grárri dragt
í stíl við rykugt sólsetrið

Loftið er kyrrt
kulið bítur hana ekki
því líka hún
er kyrr

Einhversstaðar er eikardrumbur
að breyta sér í eikardrumbslykt

Í höfði konunnar eru tvö herbergi

Í hinu fremra er skreyttur stóll
með mjúkri sessu
sem nýta má til að sitja og hugsa um
hversu krefjandi það er að vera manneskja
Andspænis stólnum eru dyr
Þær má nota – ef vill
Í innra herberginu er
enginn stóll
Á því eru sjö dyr

Hver þeirra veit út á brautarpall
í Perpignian
Þar stendur kona í grárri dragt
í stíl við rykugt sólsetrið

Í höfði henni eru tvö herbergi

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