Nur noch Dankgebete möchte ich dir sagen, Gottvater im Himmel, du weißt es, bis zu meinem gnädigen Tod. So habe ich es mir vorgenommen. Damals.
Jetzt kommt er bald, ich spüre ihn schon. Und der gnädige Tod wird mich wieder zusammenführen mit allen, die ich verloren habe. Das erhoffe ich jedenfalls, darum bitte ich. Für sie, auch für sie brennt die Kerze im Herrgottswinkel.
Sei ihnen gnädig.
Stille
Die Knochen sind altgeworden und das Holz vor meinem Bett noch blanker und glänzender vom jahrelangen Knien.
Oder nein, das ist Selbstlob, vergib mir.
Aber daß deine alte Hofmännin, die seit damals die ›Schwarze‹ genannt wird, heute als kranke Frau vor dir kniet, das ist die Wahrheit, und meine Krankheit ist sicher deine Strafe. – Deine Strafe wofür? Habe ich wirklich so großes Unrecht getan? Haben wir wirklich so schlimm gesündigt, daß wir all das verdient haben, was uns widerfahren ist?
Nein, von mir selber will ich gar nicht reden. Worüber dürfte ich jammern, Gottvater? Ich habe ja überlebt. Und habe nicht nur überlebt, sondern bin sogar wieder freigekommen durch die Fürsprache meines Leibherrn.
Auch dafür muß ich dir danken, danken.
Stille
Und auf diesen Dank, Gottvater, mußt du schauen, nicht auf mein Herz, das so schwarz ist, wie ich heiße. Ja, immer noch bin ich voll von Wut, nein, es ist nicht besser geworden, und das soll es auch nicht mehr.
Das ist ein böser Vorsatz, ich weiß, vergib, oder vergib nicht, wie du willst.
Stille
Viel Ungerechtigkeit haben wir alle gesehen. Mein ganzes Leben, Gottvater, du weißt es, besteht aus nichts anderem als aus Ungerechtigkeit: erst durch die Böckinger und die Stadt Heilbronn, später durch Menschen wie Hans Berlin. Vor allem natürlich durch den Herrn Georg von Waldburg, den man seit damals den ›Bauernjörg‹ nennt – und den ich nicht deiner Gnade empfehle, wie man es gewöhnlich tut bei Verstorbenen.
Vergib, aber das ist unmöglich.
Ja, Ungerechtigkeit von allen Seiten, das war es.
Dabei war doch alles, was ich jemals wollte, Gerechtigkeit. Gerechtigkeit und die Freiheit, die einem Menschen zusteht. War das zu viel gewollt, Gottvater?
Stille
Trägst du mir nach, daß ich selber nicht immer ganz gerecht war? Daß ich zum Widerstand und Kampf aufgerufen habe? Aber war das denn ungerecht? Nie und nimmer! Und falls doch… so mußt du bedenken, Gottvater, wie wenig ich wußte, woher auch? Was deine Kirchenmänner gepredigt haben, das hat uns alle verwirrt. Sie sind die wahren Schuldigen!
Ist dir bekannt, was der Doktor Luther gesagt hat, dieser schlimme Verbrecher? Wie er uns aufgewiegelt hat, nur um uns dann ans Messer zu liefern?
Und deine anderen ›Reformatoren‹, so nennt man sie ja. Nein, die waren nicht so teuflisch verlogen wie der Luther, das waren sie nicht, sie haben schlicht das wahre Evangelium gepredigt – und wurden von dir gestraft. Warum? Wofür? Was hatte das zu bedeuten?
Sie hatten doch bloß Gerechtigkeit gepredigt.
Und war etwa der Bauernjörg dein Strafwerkzeug wie einst der König von Babylon gegen das Volk Israel?
Du mußt, Gottvater, unsere Verwirrung begreifen, du mußt! Die Verwirrung, in die du mich gestoßen hast! Die Verstockung, die du in mein Herz gelegt hast! Du mußt sie begreifen!
Stille
Viel Grausamkeit haben wir alle gesehen, Morde und brennende Mauern und Hütten, Klöster und Burgen, Städte und Dörfer. Doch nicht wir haben damit begonnen, nicht wir. Es war Krieg.
Wollte ich den Krieg?
Ja, ich wollte ihn. Nicht von Beginn, aber dann… ja, ich wollte ihn, Gottvater, bei allem, was heilig ist! Ich wollte ihn, als wir erkannten, daß nichts anderes mehr half. Und daß wir ihn gewinnen konnten. Daß wir überhaupt nur so gewinnen konnten, nur durch Krieg, denn die Obrigkeiten haben uns immer nur hingehalten. Du weißt es, wie sie wochenlang mit dem Gemeinen Mann in seiner Einfalt verhandelt haben – und im Hintergrund haben sie gegen ihn gerüstet. Ja, da habe auch ich Ja gesagt zum Krieg. Denn Krieg, du weißt es, Gottvater, Krieg muß es geben, seit du die Menschen aus dem Paradies geworfen hast.
Nein, Gottvater, ich preise und rühme ihn nicht! Der Krieg bringt Not und Tod. Aber so ist sie, die Welt.
Deine Welt.
Stille
Aus:
Markus Grimm: Die Stille im Auge des Sturms. Ein Bauernkriegsroman. ArtCon Media Verlag, 2024.
Der sogenannte Bauernkrieg von 1525 ist eine »Revolution des Gemeinen Mannes« und das Streben nach mehr Demokratie.
Drei Akteure dieser scheiternden Revolution stehen im Zentrum des Romans: die Großbäuerin Margarethe Renner, bekannt als ›Schwarze Hofmännin‹; der Würzburger Ratsherr und Bildhauer Tilman Riemenschneider; und der Feldherr des Schwäbischen Bundesheeres Georg Truchseß von Waldburg, der sogenannte ›Bauernjörg‹.
In ihren wechselnden Blickwinkeln brechen sich die geschichtlichen Ereignisse. Durch die Konzentration auf menschliche Innenperspektiven entsteht nicht nur eine historische Betrachtung, sondern eine psychologische Studie über grundmenschliche Bedürfnisse und Befürchtungen: über Macht und Ohnmacht, über Gewalt und den Wunsch nach Frieden.
Markus Grimm, Jahrgang 1967, Autor, Schauspieler, freier Theologe, schreibt Romane, Novellen und Essays und spricht Hörbücher.
Markus Grimm
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