Einser-Menü

Aus dem Alltag

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Ewald Pongratz war ein einsichtiger Mann. Er sah ein, dass der Platzregen, in den er eben geraten war, unumgänglich war, und dass es keinen Sinn machte, über den Wetterdienst empört zu sein, der nichts anderes als Sonnenschein versprochen hatte. Nass war er trotzdem. Er sah ein, dass die Bank, für die er neununddreißig Jahre gearbeitet hatte, keine Verwendung mehr für ihn fand und ihn abspeiste mit ein wenig Geld und schalen Worten. Er sah sogar ein, dass seine Frau seiner überdrüssig geworden war, ein Stückchen mehr mit jedem Jahr, und es nun vorzog, ihre Zukunft mit dem gemeinsamen Kater, aber ohne ihren Ehemann zu gestalten.
Was er nicht einsehen konnte, war, dass sie die Mokkamaschine mitgenommen hatte.

Er betrat das Wirtshaus, das ihm in den letzten beiden Jahren zum Zufluchtsort geworden war, stand einen Moment lang in der Tür, war unschlüssig und nass. Die Kellnerin mit den leicht fettigen Haaren und der Zahnlücke, die man sah, wenn sie breit lachte, winkte ihm freundlich zu. Er grüßte sie, ging zum Tresen, wo eine Tageszeitung lag, die ihm so gut erschien wie jede andere, sah zu seinem Stammplatz, der frei war. Letzter Tisch, links hinten. Als er den Sessel unter dem Tisch hervorzog, fiel ihm die Textzeile aus dem alten Dylan-Song ein.
‚Come in, she said, I’ll give ya shelter from the storm.‘

Ewald Pongratz fühlte sich wohl in diesem Gastraum, in den er eigentlich nicht recht hineinzupassen schien und der ihm dennoch das Gefühl gab, am richtigen Ort zu sein. Stets saß er allein an seinem Tisch und er hätte auch gar nicht gewusst, mit wem er ihn teilen sollte. Viele der anderen Gäste waren stille Trinker, die ohnehin keine andere Gegenwart ertragen wollten, als jene ihres Spritzweins oder Schnapses. Obwohl: es waren keine unangenehmen Menschen, wie Pongratz zugeben musste. Mittags zumindest, über die späteren Stunden mochte er nicht urteilen, denn abends kam er nie hierher. Ob sie auch grob werden konnten, das wusste er nicht und wollte es auch nicht herausfinden.

‚Das Einser-Menü, der Herr, und ein großes Budweiser?‘, fragte der Kellner, Pongratz hatte ihn gar nicht bemerkt. Er wusste nicht, was heute, war es Dienstag?, auf dem Menüplan stand und fast mechanisch sagte er ‚ja‘, und noch während er nickte, war der Kellner schon in der Küche verschwunden. Pongratz lächelte zufrieden. Es gefiel ihm, ein Stammgast zu sein. Es gab ihm das Gefühl, beachtet zu werden.

Zwei Menüs bot das Lokal und man war gut beraten, das erste zu wählen. Klassische Hausmannskost, das bekam der Koch gut hin, überraschend gut zuweilen, während die fleischlosen Varianten der Nummer zwei stets ein wenig an Experimentalküche erinnerten, von der man besser die Finger ließ. Einmal hatte es Pongratz versucht, er hatte es nicht besser gewusst, und den Teller dann kaum angerührt. Er hatte sich damit entschuldigt, sich nicht wohl zu fühlen und war dem fragenden Blick des Kellners ausgewichen. Der Magen, hatte er gemurmelt. Man kenne das ja. Es war ihm furchtbar peinlich gewesen und er war gegangen, ohne einen Kaffee getrunken zu haben.

Der Kellner brachte die Suppe, Leberknödel heute, und sagte ‚Vorsicht, heiß‘. Stellte das Bier auf den Tisch, die Schaumkrone auf dem bauchigen Glas saß nahezu perfekt. Ein Mann ging an ihnen vorbei, schleppte sich mit quälend kurzen Schritten Richtung Toilette. Ein Gesicht, als hätte es eine Million Zigaretten geraucht und bereits die Ewigkeit gesehen. Das falsche Leben hatte ihn vernichtet, hätte Ernst Molden gesagt. Der großartige Molden. Ihm würde es hier gefallen, dachte Pongratz und griff nach dem Bierglas.
Ihn würde er gern an seinem Tisch sehen und gemeinsam mit ihm schweigen.

Fast schien es, als würde die Zeit selbst an diesen Wirtshaustischen sitzen und gelassen den Trubel der Welt beobachten, der sie nichts anging. Auch am Menüplan ließ sich nicht ablesen, welche Jahreszeit gerade herrschte, nur Spargel und Eierschwammerl waren Richtmarken, die das Jahr grob gliederten und seinem gleichförmigen Gang eine bescheidene saisonale Komponente aufzwangen. Selbst Pongratz‘ Rechnung war immer die gleiche, die Preise waren stabil und mit ihnen das Leben. Die Kellner, die ihm mit dieser besonderen Mischung aus Distanz und Komplizenschaft begegneten, die nur die Vorstadt hervorbringen konnte, freuten sich jedes Mal über das unüblich hohe Trinkgeld von einem Euro fünfzig Cent, was Pongratz wiederum gestattete, sich für einen Moment in seiner eigenen Großzügigkeit zu sonnen.
Das Einser-Menü schien ein Garant der Berechenbarkeit zu sein. Ein Vorgriff auf die Ewigkeit.

‚Come in, she said, I’ll give ya shelter from the storm‘, sang Pongratz leise und unmelodisch. Stieß die Worte sanft in den Gastraum hinein, wo sie ungehört vergingen. Er musste über sich selbst lachen, weil er so schlecht sang, es war dies eins der wenigen Dinge, die er wirklich bedauerte im Leben. Dann steckte er seine Geldbörse in die Hosentasche, stand auf und verließ das Gasthaus.
Er würde wiederkommen, morgen schon.

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