Forever Young?

Aus dem Alltag

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Manche Dinge will man einfach nicht wahrhaben. Wir sehen sie nicht, auch wenn sie sich direkt vor unseren Augen befinden. Beachten sie nicht, obschon sie doch längst Teil von uns geworden sind. Der Mensch, so scheint es, hat eine virtuose Begabung, die hässlichen Begleiterscheinungen des eigenen Lebens auszublenden.

Beim Griff nach der Zahnseide, eines Vorgangs ungemein profaner Art, stechen sie mir zum ersten Mal ins Auge, bereichern fortan meinen Wortschatz um einen neuen Begriff und es wäre mir lieber gewesen, ich hätte ihn noch nicht erlernt: ‚lentigines seniles‘.
Altersflecken.

Es ist wohl eine volle Minute, in der ich unbewegt und dumpf, bar jeden klaren Gedankens, auf meinen linken Handrücken starre. Doch da hilft kein noch so hypnotischer Blick und auch kein Zwinkern, die hellbraunen Flecken werden bei genauerer Betrachtung eher mehr, als dass sie zum Verschwinden neigen. Gewiss, sie sind klein und nicht besonders zahlreich und man muss schon genau hinschauen, um sie zu erkennen. Aber sie sind unzweifelhaft in der Welt und verletzen in ebendieser selbstgefälligen Präsenz mein Ego in ungehöriger Weise.
Ich mag sie nicht.

Fassungs- und ein wenig mutlos blicke ich auf meine andere Hand, ist mir doch klar, dass sich das Leben lustvoll der Symmetrie zuneigt. Und tatsächlich, auch hier finden sich die kalten Zeichen der Zeit, bilden ein feines Netz aus winzigen Pünktchen, als wäre meine Hand ein seltenes Kleinformat von Jackson Pollock.
Ich mag sie trotzdem nicht.

‚Lentigines seniles‘, das sind belanglose Pigmentstörungen, harmlos im medizinischen Sinne, aber eine brüske Zumutung im ästhetischen. Und sie besitzen die irritierende Eigenart, ihrem Träger mit maßloser Unverfrorenheit den endgültigen Abschied von einer Jugend ins Gesicht zu speien, deren Verankerung in fernen Dekaden einem zwar durchaus bewusst, im Herzen aber nie wirklich präsent war.

Wo sind sie hin, die vielen Jahre, wer hat uns da beschummelt? Wer mischt uns weißes Haar in all das dunkle, raubt uns Geschmeidigkeit und zwingt uns Brillen auf den Nasenrücken? Doch es ist nicht die Frage nach dem Woher, die mich beschäftigt. Was mich beunruhigt ist die Botschaft, die hinter dem Offensichtlichen lauert.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon so im Bad stehe, mit blödem Blick auf beide Hände starrend, bevor mich das ungebührlich laute Rauschen des Ventilators aus meinen Gedanken reißt. Die meisten Zeichen des Alters mögen wir mit Fassung tragen, denke ich mir. Einige sogar mit Stolz. Aber ‚lentigines seniles‘, beschließe ich kurzerhand, werde ich umgehend wieder aus meinem Wortschatz tilgen, umstandslos aus dem Gedächtnis bannen. Denn der Mensch, so scheint es, hat eine virtuose Begabung, die er nicht nutzlos verkommen lassen darf.
Er ist fähig, die hässlichen Begleiterscheinungen des eigenen Lebens einfach auszublenden.

Dann greife ich nach der Zahnseide.

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