Gemeinschaft

Aus dem Alltag

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Maria sah auf. Sie ahnte, dass etwas nicht stimmte, womöglich. Es ist nur ein Gefühl, nichts weiter, dachte sie. Alles geht seinen gewohnten Gang. Sie stand im Garten, auf den paar Quadratmetern, die man ihr gelassen hatte, nachdem der Krieg verlorenging. Wo man ihr erlaubte, Gemüse zu pflanzen und Kräuter. Das Wasser aus dem Brunnen zu nutzen. Zu sein, überhaupt. Sie hob den Kopf, sah zum Himmel. Über ihr kreiste ein Falke.

Dieser verdammte Krieg, dachte sie. Aus Stolz begonnen, aus Dummheit verloren. Maria spuckte auf den Boden, bekreuzigte sich. Sie hatte man bleiben lassen, als einzige im Dorf. Weil sie so starrköpfig war. Dumm, sagten manche. So also, dachte sie, dass sie eine Geduldete geworden war, mit vierundachtzig. Eine Fremde in der eigenen Heimat. Maria lachte lautlos, wischte sich Schweiß von der Stirn. Am Himmel kreiste der Falke.

Als sie die Grabgabel in den Boden stieß, horchte sie auf. Ihr war, als hätte sie einen Schrei gehört. Nein, keinen Schrei, dachte sie. Einen Ruf eher, angstvoll, hoffend auch. Einen Hilferuf. Maria rammte die Gabel in die Erde, ging zum Haus. Vor der Eingangstür, dass sie zögerte. Einundsechzig Jahre, dachte sie. Einundsechzig Jahre, dass es ihr Haus gewesen war. Sie tat einen tiefen Atemzug, klopfte. Trat ein. Im Vorhaus lag die Alte, zitterte. Ein Schlaganfall, dachte Maria, sah die Angst in den Augen der anderen. Sie überlegte. Niemand sonst, der im Haus war. Der Mann bei der Arbeit, die Frau am Markt, vielleicht. Die Kinder in der Schule. Maria ging zum Telefon, griff zum Hörer. Es wird gut, sagte sie, sagte es in der Sprache der anderen. Als sie Hilfe gerufen hatte, holte sie zwei Kissen, schob sie der Alten unter den Kopf. Sie setzte sich neben sie, griff nach ihrer Hand, drückte sie. Hab keine Angst, sagte sie, lächelte. Draußen, im harten Licht der Mittagssonne, schrie ein Vogel. Der Falke, dachte sie. Die Alte sprach ein paar Worte. Lallte sie. Maria verstand nicht. Bleib, flüsterte sie, hielt die knochige Hand in ihrer.

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