Müde geworden, habe ich aufgehört,
mit Menschen zu sprechen, umarme
stattdessen die Bäume und spreche mit ihnen.
Warfen mich Antworten in Zweifel zuvor, häufig
in Trübsal sogar, so wiegt mich ihre Blättersprache
in Ruhe, außen und innen, in Nähe zur Welt.
Ich höre dem Regen zu, der auf mich
niederfällt und von den Weiten des Alls berichtet
von Mond und Sonne und Sternen, die über mir stehn.
Ich taste die Erde ab, streiche sie mir in die Hand
und lecke sie wie früher als Kind die Salmiakpastillen,
fühle, rieche und schmecke das Leben.
Jedoch: Die Bäume brennen, der Regen flutet die Erde,
die Erde, zu Rissen getrocknet, nimmt das Nass
nicht auf, erschrocken plärrt der Mensch
und rudert wild mit den Armen.
Jetzt lässt er mit Mitteln einer KI berechnen,
seit wann und wie lange und so weiter
und so fort, und hofft, dass eine KI
sich für den Fortbestand der Erde interessiert.
Und ich sitz müde da und vermute, er weiß,
dass ihm selbst die Gier längst zu groß
und das Hirn längst zu faul geworden ist,
um die Erde noch retten zu können.
Wolfgang Schiffer, geb. 1946, arbeitete seit 1976 zunächst als Hörspieldramaturg beim WDR, die letzten zwanzig Jahre bis zu seiner Pensionierung 2011 war er in leitender Position für Hörspiel, Radio-Feature und Literatur zuständig. Immer schon ist er auch als Herausgeber sowie als Übersetzer aus dem Isländischen tätig gewesen; er veröffentlichte und schreibt Hörspiele, Theaterstücke, Prosa und Lyrik. 2022 erschienen die deutsch-isländische Ausgabe eines Lyrikbandes von Dagur Hjartarson, „Schnee über den Buchstaben“, und sein eigener Lyrikband „Dass die Erde einen Buckel werfe“ (beide ELIF Verlag). Neben anderen literarischen und kulturellen Auszeichnungen ist er Träger des Ritterkreuzes des Isländischen Falkenordens. Er lebt in Köln und Prag.
Wolfgang Schiffer betreibt den Blog „Wortspiele“ sowie in der Online-Literaturzeitschrift „Signaturen-Magazin“ zusammen mit dem isländischen Maler Jón Thor Gíslason die Reihe „Wortlaut Island“.
Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei Wolfgang Schiffer, die Bildrechte bei Doris Lipp.