In weiter Ferne so nah

Gastbeiträge

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Das Tosen der Brandung dringt durch den Nebel. Es ist kalt. Fröstelnd ziehe ich die Schultern hoch und schlinge die Arme fest um meinen Körper. Das soll Afrika sein? Dabei ist doch jetzt im Februar Sommer auf der südlichen Halbkugel. Unvermittelt klart es auf und die Luft wird rein wie Kristall. Weit dehnt sich der Atlantische Ozean unter kobaltblauem Himmel. Möwen segeln im Wind, ihre Rufe klingen nach Freiheit und Ferne.

Ein mächtiges Dünenmeer stemmt sich den Wassermassen des Atlantiks entgegen, der vom Benguelastrom mit eisigem Wasser aus der Antarktis gekühlt wird. Das kalte Meer trifft auf das heiße Land. Nebel kondensiert – erst dieser Nebeltau macht das Leben in der Namib, der ältesten und trockensten Wüste der Welt, überhaupt möglich. Es reizt mich, diesen extremen Lebensraum kennen zu lernen, eine Wüste, die Pflanzen und Tieren spezielle Überlebenskünste abverlangt.
Von der Küste bei Walvis Bay mit seinen fischreichen Lagunen, wo Flamingos, Pelikane und Austernfischer mich die Zeit beim Beobachten vergessen lassen, fahre ich landeinwärts in die flache Kies-Namib.

In der flimmernden Luft wirkt er wie eine geheimnisvolle Insel inmitten eines weiten Geröllfeldes – der Vogelfederberg. Der Name gefällt mir, er fordert geradezu auf, sich eine Geschichte zu seinem Namen auszudenken. Mit der rund geschliffenen Form erinnert er entfernt an den Ayers Rock, auch wenn er nicht dessen Größe und rötliche Farbe hat. Als ich mich dem Inselberg nähere, warnt mich ein Urinstinkt. Ich fühle mich unsicher, als würde ich blind in eine Falle tappen. Irgendjemand könnte sich dort in einer Felsnische verstecken und mich beobachten, während ich nicht einmal weiß, wer oder was mich bedroht und wie ich der Gefahr begegnen sollte. Dennoch überwinde ich meine Angst und klettere den Berg hinauf.

Nichts bewegt sich. Beklemmende Stille. In luftiger Höhe, dicht unter dem Gipfel, hat sich eine vom Felsen überdachte Terrasse gebildet. Feiner Sand bedeckt den Boden, und die Fläche ist breit genug, um mein Zelt aufzustellen. Vorher unterziehe ich den Berg einer genauen Untersuchung, finde aber nur Spuren von Schakalen und die Borsten von Stachelschweinen. Menschen scheinen schon lange nicht mehr hier gewesen zu sein.

Jetzt bin ich in der vorteilhaften Position. Vom Vogelfederberg aus kann ich ringsum die Landschaft überblicken, ohne selbst gesehen zu werden. Glutrot versinkt die Sonne, taucht mit ihren letzten Strahlen die weite Ebene in leuchtendes Purpur. Bis zum Horizont dehnt sich die Wüste. Nichts ist da, was den Blick ablenkt, kein Hügel, kein Berg, nicht einmal ein Baum. Weit und grenzenlos. Eine sonderbare Stille breitet sich aus.

Dennoch höre ich eine kaum wahrnehmbare Melodie: das Lied der Wüste.

Aus:
Carmen Rohrbach: Namibia – Abenteuerliche Begegnungen mit Menschen, Landschaften und Tieren. Verlag: National Geographic / Malik.

Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda. Biologie studiert und von der Neugier auf die Welt gepackt. Wegen des Versuchs, der DDR zu entkommen, zwei Jahre inhaftiert. Von der Bundesrepublik freigekauft, promovierte sie am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie. Erhielt einen Forschungsauftrag, der sie auf die Galapagos-Inseln führte. Lebte ein Jahr lang auf einer kleinen Insel, unter Meerechsen und der Sonne des Äquators. „Inseln aus Feuer und Meer“ entsprang dieser Erfahrung, zahllose Bücher folgten.
In ihren Büchern lässt sie die Leser Anteil nehmen an ihren abenteuerlichen Reisen nach Südamerika, Afrika, Asien, Arabien. Seit vielen Jahren zählt sie zu den populärsten deutschen ReiseschriftstellerInnen. Ihre jüngste Publikation, „Mein Blockhaus in Kanada“ (Malik Verlag, 2019), handelt von einer Reise in die Stille des kanadischen Winters, drei Monate voll Einsamkeit. Als Weggefährten Luchse, Elche, Weißkopfseeadler. Und die Kälte.
Carmen Rohrbach

Die Text- und Bildrechte dieses Beitrags liegen bei Carmen Rohrbach.

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