Manuel

Aus dem Alltag

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Manuel war ein stilles Kind. Solange er denken konnte hatte er nie die Notwendigkeit empfunden, durch Raserei und lautes Gehabe auf sich aufmerksam zu machen. Derlei Verhalten war ihm stets würdelos erschienen und es hatte lange gedauert, sich dem Lärm der Welt nicht gänzlich zu verschließen. Ihn ertragen zu lernen. Je lauter die Menschen sprachen, das hatte er schnell erkannt, desto unsicherer waren sie.
Und es waren so viele, die lärmten.

Die, die er am meisten fürchtete, waren die anderen Kinder. Gut, es waren welche darunter, die nicht sofort Partei ergriffen für die Großmäuler und Drangsalierer, aber sie blieben stets die Minderheit. Ein ums andere Mal war es beängstigend mit anzusehen, wie sich die Lauen um die Bösartigen scharten, sich in ihren finsteren Windschatten warfen, bloß um selbst nicht zum Opfer zu werden. ‚Opfer‘, das nannten sie ihn oft und ihre Schmähungen sollten Brandzeichen sein, die er sich trotz allem nicht aufzwingen ließ. Er hatte nur Unverständnis für sie übrig.
Vor allem für die Lauen.

Dann gab es die Schwierigen. Die, die ihn nicht sein lassen konnten, wie er war, weil sie die Stille nicht aushielten. Weil sie die Abweichung von der Norm in ihm sahen und die Norm selber nicht in Frage stellen wollten. Weil es ihnen unheimlich war, wenn sie einen trafen, der nur redete, wenn er etwas zu sagen hatte. Sie nannten ihn ’seltsam‘ und ‚ungesellig‘.
Er fand sie furchtbar anstrengend.

Am meisten langweilten ihn die Schwätzer, die so harmlos taten, so leutselig wirkten und mit ihren immergleichen Geschichten jeden bislang ungedachten Gedanken lähmten. Sie waren blind für die Gefühle der anderen und waren sie es nicht, dann brachten sie ihnen kein nennenswertes Interesse entgegen. Sie waren sich selbst genug und betrachteten ihre Mitmenschen als Publikum, das willfährig Applaus zu spenden hatte. Manuel verachtete sie.

Er stand im Schulhof, neben der alten Mauer, die er so mochte, weil ihre Steine eine Würde ausstrahlten, die er an neuen Bauten nicht finden konnte. Er tastete vorsichtig nach dem Moos, das im unteren Teil wuchs, und versuchte sich zu erinnern, ob seine Mutter die blauen Flecke am Oberarm auch gestern schon hatte. Es gelang ihm nicht. ‚Da hinten steht er‘, hörte er Julian sagen. Hörte dessen Lakaien johlen und kichern. Konnte ihre Selbstgefälligkeit spüren und die Unsicherheit, die sie davon abhielt, ihm tatsächlich Schmerz zuzufügen. Richtigen Schmerz. ‚Stummer, kannst du sprechen?‘, sagte Julian, betonte jede Silbe. Manuel dachte zwei Dinge zugleich. Wie wunderbar sich Moos anfühlte, feucht und kühl und nachgiebig.
Und warum die Menschen so selten die richtigen Fragen stellten.

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