Mykene

Peloponnes

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Agamemnon ist müde. Viel zu lange hat dieser Krieg gedauert, zu viele Männer haben ihn nicht überlebt. Auch dieser aufgeblasene Achill nicht, der ihm das Leben so schwergemacht, ihm zeitweilig gar die Gefolgschaft verweigert hat. Dann noch all die Seuchen und bösartigen Disziplinlosigkeiten verrohter Männer, die eine Belagerung zwangsläufig mit sich bringt. Die lange Zeit der Zweifel, ob der Sieg letztendlich doch gelingen könnte. Bis dieser gewiefte Mann aus Ithaka auf die Idee mit dem Geschenk verfiel, wie zum Teufel kommt man bloß auf so einen Gedanken? Odysseus. Ja, ohne Odysseus hätten sie diesen unseligen Krieg wahrscheinlich nicht gewonnen. Und jetzt war sie wieder zu Hause, bei seinem Bruder, ihrem Mann, diese verfluchte Helena. Und tut, als wäre nichts geschehen.
So ein treuloses Weib wie dieses, das hat er nicht, das ist gewiss. Agamemnon streckt sich in der Wanne, lässt den Kopf auf die Brust sinken. Schließt die Augen, während das Wasser seinen nackten, von Narben geschmückten Körper umspült. Dann öffnet sich die Tür und herein kommt Klytaimnestra.

Wolken ziehen wie eine stumme Prozession über den Himmel, als sich das Löwentor vor uns aufbaut wie ein freundlicher Riese, der arglos in der Gegend steht. Die steinernen Tiere, sie sind noch immer hier, auch noch nach dreieinhalb Jahrtausenden. Nur ihre Gesichter haben sie irgendwann verloren im dunklen Fluss der Zeiten und die Löwen wirken nun ein wenig ratlos. Wie lässt es sich am besten drohen, ganz ohne Mimik? Ein Vogel, den ich nicht benennen kann, flattert fröhlich fiepend über uns hinweg, dann durch das Tor hindurch. Er kümmert sich nicht um das starre Katzenvolk.

Eine steile Rampe führt den Berg hinauf, rechts liegt das imposante Gräberrund, es ist schon lange leer. Dort, wo der Palast stand auf der weiten Hügelkuppe, ruhen jetzt Ruinen. Mittagsblumen und Zyklamen wachsen auf dem kargen Boden, manche finden auch in Mauerritzen Halt, und trotzen bunt der Schwere der Zyklopenmauern. Eine Eidechse sonnt sich auf den großen Steinen und verharrt in würdevoller Pose. In der Ferne blökt ein Schaf. Hier oben, auf der Kuppe, ist das Meer zu sehen. Zwar nur ein kleines Stück der Küste, doch das geheimnisvolle Blau, es schimmert lockend am Horizont und wirkt doch fremd in dieser Landschaft. Etwas raschelt im Gebüsch, dann hockt er plötzlich neben uns, der kleine Vogel von vorhin.
Auch er schaut Richtung Meer.

Wie damals Agamemnon. Ja, das Meer, das nie fern und voller Gefahren war. Dorthin mussten sie, es war der Weg nach Troja. Der König fluchte bitter. Doch die Schmach, die seinem Bruder widerfahren war, sie musste mit harter Hand gerächt werden. Der Krieg war eine beschlossene Sache.

Klytaimnestra war wütend. Wie konnte ein Mann bereit sein, sein eigenes Kind zu opfern? Bloß um eine Göttin zu beschwichtigen, die seinem Ziel im Wege stand. Was war das für ein Mensch? Manchmal kämpfte sie noch mit den Tränen, obschon Iphigenie gerettet schien, es hatte Artemis ja schließlich Mitleid. Verloren aber hatte sie die Tochter letztlich doch. Agamemnon, der unumschränkte Herrscher. Irgendwie konnte sie ihre Schwester ja verstehen, die Reißaus nahm der Liebe wegen. Auch wenn sie selbst jetzt leiden musste unter deren Tat. In der Ferne schrie ein Lamm nach seiner Mutter. Ein Vogel, den sie nicht benennen konnte, landete am Fenstersims. Klytaimnestra besah ihn sich genau, erwartete beinah, dass er ihr eine Kunde überbringen würde, doch der Vogel saß nur still, als ginge ihn die Welt ringsum nichts an. Ein Bussard zog hoch am Himmel seine Kreise und Klytaimnestras Züge härteten sich wie junges Grün, das jäh verholzte. Sie straffte ihren Rücken und fasste einen kalten Entschluss. Agamemnon, der Kriegsherr. Sie hasste diesen Mann.
Eines Tages, da würde er für seine Tat bezahlen.

Am Hang jenseits der mächtigen Mauern weidet eine Herde Schafe. Wind kommt auf und trägt die feinen Töne ihrer Glöckchen über die Ruinen hinweg, an den Gräbern vorbei, in die Weite der Landschaft hinein und das monotone Knattern der Zikaden sättigt die Luft mit dem grandiosen Klang des Südens. Eine Reiseleiterin steht in den Resten des Palasts und weist nach Westsüdwest. Zeigt mit ihrer Rechten auf einen Berg, der wirkt, als wäre er ein schlafender Koloss. Ich blinzle. Sehe die hohe, flache Stirn, das volle Haar, das sanft nach hinten fällt, als würde es auf einem Kissen ruhen. Die markante Nase, die breite Brust, die geschlossenen Augen. Die Reiseleiterin hält inne, derweil die Menschen munter murmelnd ihrem Blick zu folgen, den Liegenden zu finden suchen. Still wird es, als schließlich jeder ihn gesehen hat.

Denn Agamemnon schläft.

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