Wahrscheinlich waren es weder die Dinge, die sich verändert hatten, noch die Dinge, die gleichgeblieben waren, die ihn irritierten, sondern die Dinge, die neu dazugekommen waren. Die kleinen Gegenstände, die vielleicht nicht einmal neu waren, sondern sich plötzlich an anderen Orten aufhielten. Liefe er schnell durch die Wohnung, würde es ihm nicht auffallen. Dann wäre die Veränderung verschluckt in einem vorbeiziehenden bunten Zuhausewirbel. Doch wenn er langsam durch die Wohnung geht, in Lebensgeschwindigkeit, dann bemerkt er all die Nochs und die Nicht-Mehrs.
Noch kann er die rechte Badezimmerschranktür aufklappen, um sich einen Kamm auszuborgen. Noch befinden sich in der mittleren Küchenlade die Dinkelnudeln. Noch steckt das Handyladekabel links bei der Kommode. Noch stehen viele Schuhe im Schrank im Vorzimmer. Der Kalender zeigt einen Monat, der nicht mehr der aktuelle ist. Die Blumen in der Vase im Wohnzimmer tragen nicht mehr länger bunte Blütenblätter. Das Tischtuch schmückt eine Jahreszeit, die nicht mehr vor der Tür wartet. Es kommt Post an, die nicht mehr gelesen werden wird.
Dabei weiß er gar nicht, was ihm mehr zusetzt, ob es die Nochs oder Nicht-Mehrs sind, ob es das Manche ist, das immer noch so gleich, oder das Viele, das schon so anders ist. Manchmal, wenn er eine Pause von der Wahrnehmung braucht, dann geht er mit geschlossenen Augen durch die Wohnung, um kein Zeuge der schleichenden Veränderung zu sein.
Doch irgendwann hatte er die Dinkelnudeln aufgegessen und keine mehr nachgekauft. Irgendwann hat er begonnen, den Badezimmerschrank auszuräumen. Die Schuhe hat er gemeinsam mit dem Handyladekabel von der Kommode verschenkt. Er hatte die ungeöffneten Kuverts einfach entsorgt, die Vase im Wohnzimmer durch einen Blumentopf ersetzt. Bald würde er sich überwinden und auch das Tischtuch tauschen. Er denkt seit einigen Tagen darüber nach, wo die denn eigentlich aufbewahrt werden. Er musste sich noch nie darum kümmern. Es ist eines dieser Dinge, die er zum ersten Mal macht.
Es ist ungewohnt, so viel Neues zu tun zu haben. Aber jetzt lässt er das Tischtuch noch etwas liegen. Jetzt muss er noch ein wenig an den Dingen hängen, die gleich geblieben waren. Sie wurden mit jedem Tag weniger. Aber noch gab es sie.
Noch.
Sara Schmiedl, 1999 geboren, aufgewachsen zwischen Zuckerrübenfeldern und Donau. Hat zuerst begonnen zu lesen, dann Bücher zu lieben und schließlich eigene Texte zu schreiben. Bisher exklusiv nachzulesen in den Textheften diverser Literaturwettbewerbe. Ein Debütroman existiert bereits im Kopf, aber bisher auch nur dort.
Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei Sara Schmiedl, die Bildrechte bei Doris Lipp.