Pfahlwurzel

Aus dem Alltag

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Nun also, nach all den Jahren, dass der Anruf kam. Sie sah auf das Display ihres iPhones, fragte sich, wie lange sie nicht mehr mit ihrer Schwester gesprochen hatte. Waren es fünf Jahre? Sieben? Sie erwog, das Gespräch nicht anzunehmen. Nahm es an. Einen Moment lang, dass niemand sprach, bevor die Schwester sagte: Mutter geht es nicht gut. Mehr sagte sie nicht, fiel wieder in ein Schweigen, mit dem sich beide abgefunden hatten. Die Stille, wussten sie, verletzte sie nicht; Worte gerieten ihnen leicht zu Scherben, an deren Kanten sie sich schnitten. Was ist mit ihr? fragte Sonja, als ihr die Stille zu dunkel wurde. Sie bemerkte, wie fest ihre Hand das iPhone umklammerte, lockerte den Griff, sah aus dem Fenster. Auf der Rasenfläche des Nachbargrunds lag ein Kinderfahrrad. Sie liegt die ganze Zeit im Bett, sagte die Schwester. Und sie isst kaum, atmet auch schwer. Was sagen die Ärzte? fragte Sonja, ahnte die Antwort. Die Schwester lachte hart. Ärzte! rief sie. Die wissen doch nichts. Sonja zwang sich zur Ruhe. Was erwartest du von mir? fragte sie. Dass du dich kümmerst, sagte die Schwester. Du kannst nicht ewig weglaufen. Und ob ich das kann, dachte Sonja. Ihr müsst einen Arzt rufen, sagte sie. Oder die Rettung. Nie hörst du mir zu! herrschte die Schwester sie an. Komm zurück und hilf uns. Drück dich nicht ständig vor deinem Teil. Im Hintergrund hörte sie die dunkle Stimme des Vaters, die derbe Sätze spie. Sonja lachte. Sie wollte es nicht, konnte nicht anders. Ruft einen Arzt, sagte sie, beendete das Gespräch, sah aus dem Fenster. Wolken warfen graue Schatten auf die Gärten. Eine Amsel hockte neben dem Fahrrad, pickte nach Würmern.

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