Sei dankbar

Aus dem Alltag

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Sei dankbar, sagen sie. Dass du einen Job hast, der dich nährt und dir ein braves Leben erlaubt. Wir setzen uns für dich ein, sagen sie. Damit es nicht bergab geht mit dir, wir können nicht für alle sorgen. Die Zeiten würden härter, sagen sie, schau dich doch um. Sie lächeln mich an und klingen ernsthaft und vernünftig. Bis ich verzichtet habe auf acht Prozent, sie sprachen ja von zwölf. Acht Prozent, was sei das schon? Eine gute Entscheidung, die einzig richtige, sagen sie und lächeln immer noch.
Sie ordern neue Dienstwägen.

Ich bin dankbar. Dass sie mir Arbeit geben, ohne die ich nichts wäre im Leben. Ein Niemand wäre, der ständig klagt über das Unrecht, das ihm widerfährt. Seine Nachmittage auf einem Plastiksessel verbringt, vor einem heruntergekommenen Lokal, und billige Träume träumt. Alternativen? Die gibt es nicht für meinesgleichen, wo sollte ich auch hin mit meinen vierundfünfzig? Ich bin eine Geisel, die monatlich besoldet wird. Eine, die Verständnis zeigt für ihre Geiselnehmer.

Es sind kluge Menschen. Menschen, die weiter sehen als ich und sich besser auskennen in der Welt. Menschen, die gut rechnen können und schon lange wissen: es wird eng, es geht sich kaum mehr aus. Sie reden von Globalisierung und ökonomischen Zwängen. Von der Konkurrenz, die viel zu billig produziert. Schauen Sie, sagen sie dann und werden ganz ernst. Das läge an mir, ich koste zu viel.
Ich fühle mich schuldig und weiß nicht, warum.

Ich verstehe sie nicht, die großen Zusammenhänge. Weiß nur, wie meine Arbeit zu machen ist und dass es Wert hat, was ich tue. Vertraue darauf, dass sie auf mich schauen und dass sie meinen, was sie sagen: du gehörst zu uns. Wir lassen dich nicht im Stich.
Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn sie lächeln. Ich will dankbar sein.

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