Sternenbus

Gastbeiträge

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Die Welt ist immer anders, als ich sie mir denke. Wie bekomme ich ein Gefühl für die Welt? Wie reise ich, um zu sehen, was da ist? Auf hoher See nur das Meer, im Auto die Straße, im Flugzeug Wolken oder nichts oder eine halbe Glatze und eine gefärbte Haartolle. Im Theater ist nicht zu entscheiden, ist die Bühne da vorne mit den geschminkten und verkleideten Menschen oder ist die Bühne der große Raum mit den Tuschelnden, die auch geschminkt und verkleidet dasitzen und deren Köpfen die große Leutegeschichte geschieht. Ich will es nicht entscheiden.

In meinem Kopf sind immer Gäste. Sie fressen mein Geheimnis, atmen meine Luft, sie zerschneiden meine Seele, machen mich abhängig von Lob und Lächeln. Vom Wohlwollen. Ich bin mir nicht sicher, wen ich wollen soll. Wohl ist mir bei diesen Geschäften gar nicht.
Wer sich immer fürchtet, ist Tag für Tag verdammt. Wenn ich nicht sagen kann, was ich will, weil mir die Wörter unbekannt sind. Wenn ich nur die Wörter sagen kann, die ich kenne, bekomme ich nicht, was ich will. Ich drücke die Wörter aus, die ich weiß, sage nicht, was ich meine, frage nach der Post, statt nach der Kirche. Gehe nach rechts, statt nach links, gewinne nicht mein Leben, sondern das der Wörter, die ich weiß. Wo sind die Toiletten, frage ich, und wissen wollte ich, wer mich liebt?

Sicher bin ich nur an der Haltestelle des Sternenbusses. Dort warten alle, die wissen, dass die Sterne Schatten werfen und der Weg das Ziel ist. Dort bekommen alle eine runde Sekunde geschenkt, in der sie beruhigt auf ihr Leben warten können. Wenn der Sternenbus kommt, hat er kein Ziel, sondern fährt langsam schaukelnd durch die Landschaft aller Träume.

J. Monika Walther stammt aus einer jüdischen-protestantischen Familie. Schlug an vielen Orten Wurzeln. Studierte, promovierte, zog los in die Welt. Kehrte zurück und wurde sesshaft im Münsterland und in den Niederlanden. Wurde 1976 Schriftstellerin, ist es bis heute. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. „Fluchtlinien“ (2023), „Nachtzüge. Gedichte und gefundene Zettel“ (2021) und „Dorf – Milch und Honig sind fort“ (2020).
J. Monika Walther
Lesebuch Jay Monika Walther

Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei J. Monika Walther, die Bildrechte bei Doris Lipp.

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