Tacheles

Aus dem Alltag

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Vielleicht irren sich die Ärzte, Großvater. –
Ich fürchte, das tun sie nicht, Manuel. Nicht in meinem Fall. –
Woher willst du das wissen? –
Sie haben mir die Bilder gezeigt. Ich habe kaum hingesehen. Aber in die Gesichter der Ärzte habe ich geschaut. –
Du bist stark, Großvater. –
Das wird sich ändern. Bald. Es ist Zeit zu reden. Über die Zeit danach. –
Ich will nicht. –
Gib mir deine Hand. –
Ich will nicht, dass du stirbst, Großvater. –
Ich will es auch nicht, Manuel. Aber ich kann es nicht ändern. Ich wünschte, ich könnte es. –
Wieso? Wieso muss immer alles ungerecht sein? –
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob es ungerecht ist. Ich habe viele Fehler gemacht. Damals, als deine Mutter noch Kind war. –
Aber dass sie Drogen genommen hat, dafür kannst du nichts. –
Nicht einmal das weiß ich. Sie war nicht gern meine Tochter. Wir sind uns immer fremd gewesen. –
Ich bin gern dein Enkel. –
Du hast mir viel Freude gemacht. Das weißt du. –
Wir sind noch da. Beide. –
Ja, das sind wir. Aber ich werde sterben und du wirst leben. Martha wird sich um dich kümmern. Du wirst nicht allein sein. –
Ich habe keine Angst vorm Alleinsein. Ich war oft allein, wenn Mama -. Wenn Mama fort war. –
Ich habe euch im Stich gelassen, damals. Es tut mir so leid, Manuel. Miriam wollte nicht, dass ich helfe. Ich wollte es nicht. –
Willst du wissen, wovor ich Angst habe? –
Sag schon. –
Alle, die ich lieb habe, müssen sterben. Ich glaube, es ist besser, wenn ich niemanden lieb habe. –
Nein, Manuel, da liegst du ganz falsch. Die Welt verliert ihre Farben, wenn keiner da ist, den man lieb haben kann. Glaub mir. Aber Liebe erfordert Mut. Bring ihn auf. Bring ihn immer wieder auf.

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