Das erste Licht des Tages streichelt die Finsternis, bringt zuerst Grau in die Welt, dann eine ganze Symphonie an Farben. Ein Marder schiebt sich die Hauswand entlang, wieselt über den Rasen, schnuppert beiläufig an der Blumenkiste vor dem Geräteschuppen, die womöglich ein wenig nach Katze riecht, und schleicht dann aus dem Garten.
Und eine Amsel singt ihr Lied.
Die Bienen tummeln sich geschäftig am Lavendel und die Wespen werken auch schon am Trompetenstrauch. Die letzten Schnecken trollen sich des Weges und flüchten in ihre tagscheuen Verstecke. Lassen stolze, doch zerzauste Funkien zurück auf dem Schlachtfeld ihres nächtlichen Raubzugs und eine arglistig gefällte Glockenblume. Am Kirschbaum des südlichen Nachbarn, wo zwischen vereinzelten Fruchtmumien auch eine Horde Spatzen hockt, lässt sich eine Krähe nieder und vorbei ist’s mit der Morgenruhe. Von der nahen Fichte erhebt sich die Amsel, streicht über unser Haus hinweg, verschwindet alsbald hinter niedrigen Häusern und hohen Thujenhecken.
Der Wolfersberg verliert erst sanft, dann rasch an Höhe, die Amsel tut es ihm gleich. Sie fliegt über alte Dächer und neue Wintergärten, sieht achtlos abgestellte Fahrräder und kunstvoll dekorierte Veranden und hat doch kein Auge dafür. Lässt sich nieder in einem langgestreckten Garten und schnappt nach einem fingerdicken Regenwurm. Dann hüpft sie ein paar Meter, bleibt plötzlich stehen und hackt nach einem Rüsselkäfer. Der Käfer, er hat Pech gehabt. Der Wurm nicht minder.
In einem Nussbaum schreit ein zorniger Vogel, als ein kleiner Bub beherzt sein Dreirad um die Ecke lenkt. Und für die Amsel wird es Zeit nein: nicht zu gehen. Zu fliegen. Sie sieht: eine gelbe Vespa, Baujahr ’68, die friedlich in der Einfahrt parkt. Eine Sonnenblume, gewiss drei Meter hoch, sie wächst aus einem schmalen Riss im brüchigen Asphalt. Eine Frau, die Leergut in den Glascontainer wirft und blass und hager wirkt. Sie sieht eine zimtfarbene Katze, die gelangweilt Richtung Heimat trottet. Eine Kohlmeise, die ein paar Schritte weiter tot im Rinnstein liegt, den Blick nach oben gerichtet, den rechten Flügel weit von sich gestreckt, als würde sie den Himmel grüßen wollen. Sie sieht sommerfrohe Menschen in den Gärten und Blumen, die in allen Farben blühen.
Dann entleert sie umstandslos ihre Kloake und ein uranograuer VW Passat ist um einen Tupfer Weiß bereichert.
Dimitris Mitropános singt ‚Ta Ladadika‘ und der schleppende, schlingernde, dann wieder stampfende Rhythmus der Musik füllt den Raum mit griechischer Schwermut, während die Sonne den Tag allmählich mit Hitze flutet. Ich verstaue die letzten Teller und Gläser eines sonntäglichen Mittagsmahls im Geschirrspüler, schließe gerade die Türe, als Mitropános verstummt und ein unerhört textsicherer Chor aus gewiss tausend Mündern den Refrain der Live-Aufnahme singt, nein: zelebriert. Dann trockne ich meine Hände, lange nach meiner Sonnenbrille, lasse Mitropános und sein treues Publikum schweren Herzens, doch nur für kurze Zeit, verstummen und folge Doris in den Garten.
Draußen summt Insektenvolk, doch sonst ist es erstaunlich still unter weitem, stahlblauem Himmel. Doris döst in ihrem Liegestuhl, der ‚Atlas eines ängstlichen Mannes‘ von Ransmayr liegt bereits im Gras, bedenklich nah an einer kleinen Kolonie von Ameisen, er ängstigt sich hoffentlich nicht allzu sehr. Ich trete zur Gartenhütte, zum Insektenhotel, das wir dort, an der vor Wind und Regen geschützten Seite, aufgehängt haben und das uns unschätzbare Dienste leistet. Bewundere die listige Effizienz der Spinne, die ihr Netz gleich daneben gespannt hat, direkt an der Quelle allen Futters. Und die doch nicht bedacht hat, dass ihr kunstvolles Gespinst in der Einflugschneise zweier Meisen liegt, die ihren Meldezettel im gar nicht fernen Unterholz ausgefüllt haben.
Die Wärme umfängt meinen Körper wie ein schützender Kokon, die Liege gibt ihm luftiges Quartier. Ich schließe die Augen, höre das dumpfe, satte Brummen der Bienen beim Lavendel, das glücklich macht und schläfrig. Dann das verschämte Zirpen einer einzelnen Zikade, die wohl nach ihresgleichem ruft, so zart und zerbrechlich. Und vergeblich.
Und knapp bevor ich wegdämmere, den feurigen Hauch des Südwinds auf der Haut und das traurige Lied der einsamen Zikade im Ohr, höre ich sie, die Amsel. Wie sie trällert, zwitschert, jubiliert.
Bevor sie mit einem Mal ihre hohe Kunst beendet und in der nahen Efeuwand verschwindet.
Verwandter Artikel:
Sommer