Urbi et orbi

Rom

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‚No-no-nucking on heaven’s door‘, singt er, und Text und Musik erinnern entfernt an Bob Dylan. Die Hüften schwingen, die Arme kreisen und der Kopf gebärdet sich, als säße er auf einem Wackeldackel. ‚No-no-nucking on heaven’s door‘, wiederholt er ein ums andre Mal, jede andere der ohnedies spärlichen Textzeilen beharrlich ignorierend. Dieter Bohlen hätte ihn geliebt.

Die Reaktionen des Publikums reichen von peinlich berührt bis hellauf begeistert. Wir zählen stolz zum zweiten Lager. Der Straßenkünstler ist großartig, wen stört’s, dass sich sein Englisch bald erschöpft? Wie eine eindringliche Warnung klingen seine Worte, die Bedeutung des Originals grandios ins Gegenteil verkehrend, mögen sie auch einer eigenwilligen Grammatik folgen. Klopf nur ja nicht an die Himmelstür.
An welchem Ort der Welt könnte diese Botschaft passender sein?
Denn ein paar Meter weiter beginnt der Vatikan.

Wir begehren dennoch Einlass, begnügen uns aber vorerst mit der irdischen Seite des Gottesstaats. Der Rest möge bitteschön warten.

551 Stufen können ein sportlicher Anreiz sein, ein Symbol für eine zufriedenstellende Sauerstoffsättigung. Oder eine plumpe Zumutung. Ein älteres Paar vor uns ist schrecklich außer Atem und sucht Zuflucht in einer der raren Nischen. Ich frage mich ernsthaft, ob wir wohl um eine Mund-zu-Mund-Beatmung herumkommen werden, wo ich doch mein Beatmungstuch gerade nicht zur Hand habe. Und bin erleichtert, als beim Überholen unser ‚Grazie‘ auf ein ‚Njesaschta‘ trifft, auch wenn es nur gehaucht ist. Da stört’s gleich gar nicht, dass mir die Feinheiten slawischer Sprachen nicht vertraut sind. Mir reichen Gestik, Mimik und die Abwesenheit einer akuten Herzattacke.

Die Kuppel ist ein Meisterwerk. Der Blick ins Innere der Kirche schon famos, die Aussicht von ganz oben ein Erlebnis. Wie ein mächtiges Tier kauert die Engelsburg am Tiberufer, der weiße Marmor des Nationaldenkmals buhlt auch noch aus der Ferne dreist um Aufmerksamkeit und wo man hinsieht, funkeln Kirchen im Sonnenlicht. Der Schatten der mächtigen Kuppel liegt über den vatikanischen Gärten, wandert müßig durch das Grün. Das Domizil des pensionierten Papstes wirkt verwaist. Eine Möwe zieht lautlos ihre Kreise.
Wir treten in die Kirche und stoßen auf die beiden Russen. Sie scheinen wohlauf. Ich nicke ihnen zu und murmle ‚do swidanija‘, dann eilen wir der Pietà entgegen.

Klein ist er nicht, der Petersplatz, man kann dort schon einen Halbtagswandertag verbringen. Mein Blick fällt auf den Obelisken. Merkwürdig, dass er unbeschriftet ist, also zumindest ein Kochrezept für einen Kichererbseneintopf hätten sie raufschreiben können. Eine philippinische Nonne lässt sich vor der wuchtigen Fassade der Peterskirche fotografieren. Zwei Priester älteren Semesters queren zügig den Platz, so schnell, dass die Soutanen flattern. Verlassen schließlich den Vatikan, tauchen ein in die Gassen des Borgo. Betreten dort womöglich ein Geschäft, kaufen ein Hemd mit Priesterkragen oder auch ein Zingulum. Monstranzen stehen in der Auslage, warten auf ihre neuen Besitzer und eine artgerechtere Haltung.
Ein Hemd ist ab wohlfeilen neunzehn Euro zu haben.

Ein paar Straßen weiter werde ich fündig, diese Schuhe muss ich haben. Wir betreten das Geschäft, es ist nahezu verwaist. Bis auf drei panische Angestellte, eine abenteuerlustige Ratte und eine ganze Legion prächtigen Schuhwerks. Ich habe nur Augen für letzteres.
Sie sind aus Kalbsleder. Von Hand gemacht, mit lebenslanger Garantie. Ich bin verliebt. Die Ratte nähert sich dem Ausgang, verfolgt von einem jungen Mann mit einem Plastikbesen in der Hand und wüsten Wörtern im Mund. Die jüngere der beiden Frauen ergreift entsetzt die Flucht, wir nehmen an, des Nagers wegen. Ich setze mich, ziehe meinen rechten Schuh aus, greife nach dem neuen. Der passt wunderbar. Die Ratte will zurück ins Ladeninnere, sie hat Geschmack. Und Beine, die gar nicht mal so klein sind, es ist das ganze Tier recht füllig. Ich probiere auch den linken Schuh, wir haben es nicht eilig. Die Ratte sieht das ähnlich.
Ich stehe an der Kassa, die Schuhe neben mir. Zücke meine Brieftasche und will mit meiner e-Card bezahlen, was mir die Krankenkasse brüsk verwehrt. Die Einkaufstasche in der Hand, trete ich ins Freie. Beäugt von drei Paar Augen, eins davon in Bodennähe.
Der Abend ist noch jung, die Luft ist lau. Und aus der Ferne grüßt Michelangelos Kuppel zu uns herüber.

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