Warten

Gastbeiträge

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Ich brate Zwiebeln für die Tomatensoße. Öffne die Balkontür neben dem Herd wegen des Qualms. Die Eisluft kriecht um meine Beine. Der süße Zwiebelduft steigt zu mir auf und vermischt sich mit dem Geruch nach Schnee. Mein Freund sagt, „Es riecht schon die ganze Woche nach Schnee“. „Aber es schneit einfach nicht“, sage ich und denke, dass dieses Gespräch sicher schon mal stattgefunden hat und noch mal stattfinden wird an anderem Ort in anderer Zeit unter anderen Menschen und fühle mich mit ihnen verbunden.

Ich will nicht immer in diesen wartenden Zustand verfallen. Warten auf die Beantwortung von E-Mails, die mir neue Aufgaben geben, oder auf Treffen mit Leuten, von denen ich etwas will, oder sie von mir. Warten auf die nächste Lesung, auf mein Honorar oder auf den Schnee. Ich will lieber jetzt zusehen, wie in der Pfanne die roten Zwiebeln braten. Wie sie ihren Zustand verändern. Ich will den Geruch jetzt wahrnehmen, ohne ihn von vornherein als Erinnerung abzulegen. Ich überlege, wie viele Zwiebeln ich in meinem Leben schon gebraten habe und wie groß der Berg wäre.
Ein Kind kommt in die Küche, erzählt mir was, setzt sich auf meinen Schoß. Ich umfasse die zarten Handgelenke und stelle mir die Sehnen darin vor. An den Schläfen sind die Adern zu sehen, wie durch Pergament. Alles ist so dünn und leicht verletzbar und dazu so endlos wichtig. Ich habe das Gefühl, jede Faser beschützen zu müssen. Vor jedem Dorn, jeder Grube, vorm Straßenverkehr, vor unpassenden Temperaturen und vor jedem Schreck. Ich merke, wie ich in der Angst untergehen könnte. Die offene Verletzbarkeit kommt mir selbst unverletzt schon schmerzlich vor.
Im Radio wird durchgesagt, dass Brennholzstücke auf der B1 liegen. Wie absurd würde diese Information zum Beispiel im indischen Radio klingen? Gleich kommt mir der Gedanke, dass mein Kind in zehn Jahren nach Indien wollen könnte.
Ich sehe dem Kind beim Essen zu und weiß noch, wie es das gerade erst gelernt hat: Die Nudeln nicht mit den Fingern zu essen. Es wird noch viel mehr lernen vermutlich. Das bleibt abzuwarten. Ich räume den Tisch ab und schicke die Kinder ins Bett.

Keine neue Mail, keine Ablenkung, keine Aufgabe. Ich muss mich selbst beauftragen. Wer vor zwanzig Jahren was schreiben musste, konnte vor einem weißen Blatt verzweifeln. Jetzt verzweifelt man vorm schwarzen Bildschirm, wie vor einem tiefen Loch. Es ist keine Fläche, die darauf wartet, meine Worte zu tragen, sondern es ist die Unendlichkeit, aus der ich mir etwas schnappen muss. So ist es, wenn ich versuche, einen Traum zu erzählen, der in seiner Größe schrumpft mit jedem Wort, das ich ihm zuordne. Ich zerre ihn heraus aus einer unberührten Vollkommenheit und zerstöre sein Gefüge. Alles Ungreifbare fällt durch die Entnahme des Greifbaren komplett auseinander. Was ich dann habe, sind bloß ein paar Sätze, die gleich wieder vom Ruhemodus verschluckt werden. Ich gehe ins Bett und den Laptop stelle ich auf den Zeitungsstapel an meinem Fußende. Im Einschlafen entsteht ein Gedanke, der aufgeschrieben werden sollte, bevor ich ihn wieder im Ungreifbaren verliere. Ich müsste meine Arme zu meinen Füßen bewegen, um das, was mir jetzt so logisch vorkommt, zu beschreiben. Aber es ist zu spät. Mein Körper ist zu schwer. Am Morgen ist noch der Satz in meinem Kopf: „Nur in der Mittelmäßigkeit kann man wirklich glücklich werden.“ Aber ich weiß nicht mehr, was ich damit gemeint habe.

Franziska Hauser, geboren 1975 in Berlin Pankow, ist Autorin und Fotografin. Sie hat zwei Kinder und zwei Enkel. Studium Bühnenbild und freie Kunst an der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Studium Fotografie an der Ostkreuzschule bei Arno Fischer; Stipendium der Stiftung Kulturfonds. 2015 erschien ihr Debütroman „Sommerdreieck“ im Rowohlt Verlag, wofür sie den Debüt-Preis der lit.COLOGNE erhielt und für den ZDF Aspekte-Preis nominiert wurde. Zeitgleich erschien im Kehrer Verlag der Fotobildband „Sieben Jahre Luxus“.
Ihr zweiter Roman „Die Gewitterschwimmerin“ (Eichborn Verlag 2018) wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert. 2018 Gewinnerin des Deutschen Kurzgeschichtenwettbewerbs. Im selben Jahr Gründung der monatlichen Lesebühne „Des Esels Ohr“ (gemeinsam mit Kirsten Fuchs, Susanne Schirdewahn und Barbara Weitzel). Ihr dritter Roman „Die Glasschwestern“ erschien 2020 (Eichborn Verlag).
Sie schreibt und fotografiert für Das Magazin, Berliner Zeitung, FAZ, taz, Die Welt u.a.
Der vierte Roman „Keine von ihnen“ erschien im April 2022. Ebenfalls bei Eichborn.
Franziska Hauser

Die Text- und Bildrechte dieses Beitrags liegen bei Franziska Hauser.

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