Xanthippengezänk

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Wenn ich an Xanthippe denke, dann stelle ich mir vor, dass sie den ganzen haushalt alleine verrichten musste und Sokrates nur alle zwei wochen darum bat, den müll runterzubringen und den gelben sack rauszustellen. Aber Sokrates sah zu, wie sich seine einstmals hübsche frau den rücken krumm arbeitete, zog die frisch gebügelte toga über und verschwand im gewühl der straßen und marktplätze, um dort große reden zu halten über ein angemessenes benehmen, sitten und bräuche, was wir gut und schön nennen und was nicht.

Wenn seine frau ihn zufällig bei ihren einkäufen auf dem markt in der menschenmenge erblickte, dann hoffte sie vergeblich darauf, dass ihr gebildeter ehemann ihr den schweren einkaufskorb bis vor die tür des hauses tragen oder wenigstens eine der vielen unbezahlten rechnungen begleichen würde. Hoffen ist erlaubt, aber meist vergeblich. Der philosoph konzentriert sich nun mal aufs denken und reden, auf seine freunde und auf die erziehung der jugend … Der philosoph redete übrigens auch ganze nächte durch, um sein erziehungswerk zu vollenden, während Xanthippe vergeblich mit dem essen auf ihn wartete. Immer unverständlicher war für sie das eigene leben. Oftmals konnte sie nicht einschlafen, während sie auf die schritte ihres nachhause wankenden mannes wartete. Nächtelang überlegte sie, wie sie all die schulden bezahlen sollte, die der ehemalige steinmetz getrost ihr überließ. Die mieten in athen stiegen wie in anderen großstädten ins unermessliche, der vermieter hatte schon angedroht, sie vor die tür zu setzen. Sie log, dass sich die balken krümmten und versprach das blaue vom himmel, obwohl sie wusste, dass es weder gut noch schön war. Schließlich wurde sie gereizt und übellaunig und der groll wuchs und wuchs und wie es so geht, irgendwann kam es zum ausbruch und dann immer wieder zu ausbrüchen, dem sogenannten Xanthippengezänk, und Sokrates, der längst begriffen hatte, dass seine frau klüger als andere frauen war, denn sonst würde sie sich ja nicht wehren, sonst würde sie ja nicht versuchen, irgendwelche rechte einzuklagen, sonst würde sie sich ja nicht mit einem berühmten – längst überall bewunderten – mann anlegen, vermied aus bequemlichkeit jedweden augenkontakt mit seiner frau und überhaupt gemeinsame essen, spaziergänge, arztbesuche, einkaufsbummel, segeltouren, urlaubsausflüge und oder letztlich alle tisch und bett geschichten. Das ist der schierlingsbecher der frau, der über jahrzehnte des ehe- und familienlebens in sehr kleinen schlückchen von ihr getrunken wird, ohne dass man ihren tod heldinnenhaft nennen würde.

Aus:
Manuela Fuelle: Lexikon der Doppelwörter, erschienen 2020 im Derk Janßen Verlag.

Manuela Fuelle, geb. 1963 in Berlin, lebt als Diakonin und freie Autorin in Freiburg. Seit 2004 veröffentlicht sie in Literaturzeitschriften und Anthologien. 2011 erschien ihr erster Roman Fenster auf, Fenster zu, 2016 Luftbad Oberspree. 2017 erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis.
Manuela Fuelle

Die Textrechte dieses Beitrags liegen beim Verlag, die Bildrechte bei Doris Lipp.

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