Im Schlafzimmer herrscht Maskenpflicht

Aus dem Alltag

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Die ganze Welt schaut auf Corona. Wir starren auf eine weiße Wand. Ein wenig Grün hat sich dreingemischt, unübersehbar in den Ecken, dezent verglimmend in der Weite der Wand. Die Kästen stehen nun in der Mitte des Raums und fast könnte man meinen, sie wirkten beschämt, weil sie so klobig sind und nicht recht wissen, wohin mit ihrer Masse. Der Schimmel hingegen, den sie vor uns verborgen hielten, grinst uns nun giftig an.
Als ob eine Pandemie nicht gereicht hätte.

Während ich dem Unbill noch staunend gegenüberstehe, holt Doris schon das Werkzeug. ‚Ja haben wir denn alles, was wir brauchen?‘, frage ich vorsichtig und bin mir nicht sicher, was genau wir alles benötigen werden. ‚Freilich‘, meint Doris und drückt mir Schmirgelpapier in die Hand. Und während sie das Anti-Schimmel-Mittel im rechten Verhältnis in Wasser verrührt, glotze ich blöde auf die Schlafzimmerwand, dann auf das Schleifpapier.

Das Praktische an Corona: eine Atemschutzmaske ist stets zur Hand. Wir sind wahrscheinlich die einzigen in diesen Zeiten, die eine Pilzpneumonie bekommen werden, denke ich mir, als ich den Schimmel beherzt von der Wand scheuere und feiner Staub in der Luft hängt wie Alkoholdunst in der Augustiner Bierhalle. Ich zwinge mich, nicht an meinem Mundschutz herumzunesteln und schaue zu Doris, die eingehend das Ausmaß der Schimmelkolonie prüft und mir mit knappen Worten Anweisungen erteilt. Jemand muss ja für das Dispositive verantwortlich sein.

Ich ringe am offenen Fenster nach Luft, derweil Doris das Wasser-Anti-Schimmel-was-weiß-ich-Gemisch mit kräftigem Strich an Wand und Decke pinselt. Was die Handwerkskunst betrifft, nun ja, wir spielen nicht in einer Liga. Ich setze gerade Tee auf, einen kräftigen Darjeeling, als sie die Treppe herunterkommt und Schaufel und Besen im Abstellraum verstaut. Eins fehle doch, meint sie, bevor sie sich eine Strähne aus der Stirn streicht. Die Farbe.
Doch der Baumarkt, der hat zu.

‚Wenn wir schon bei den Renovierungsarbeiten sind, könnten wir dann vielleicht bei meinen Haaren weitermachen?‘, schlage ich unverbindlich vor und deute auf meine Schläfen. Was Dichte und Länge der Behaarung betrifft, nähere ich mich langsam einem Plüschtier. ‚Können wir gern machen‘, sagt Doris und widmet sich ergeben einem Haselnussjoghurt. Ich nehme einen Schluck Darjeeling, setze die Tasse ab, gehe ins Vorhaus, wo ein Wandspiegel hängt, und betrachte meine Frisur.
Ich habe vollstes Vertrauen.

Reglos wie ein Schaf, dem man den Bodenkontakt entzogen hat, sitze ich auf meinem Sessel und schaue stur geradeaus. Doris hat Spaß gefunden an ihrer neuen Aufgabe und meint: ‚Was passiert eigentlich, wenn man das macht?‘. Ich zögere nachzufragen, was unter ‚das‘ firmiert, und entscheide mich schließlich dagegen. Ich habe volles Vertrauen und fixiere einen kleinen Riss an der Wand. ‚Wie schaut das jetzt aus aus der Distanz?‘, sagt sie und klingt recht vergnügt. ‚Wird schon passen‘, fügt sie rasch hinzu und verzichtet auf den Schritt zurück. ‚Bestimmt‘, sage ich und ringe mir ein Lächeln ab. Ich habe Vertrauen.

‚Soll ich da noch was wegnehmen?‘, fragt sie schließlich und lässt auch gleich die Antwort folgen. ‚Ach, da hast dann eh die Maske‘, meint sie, zieht das Handtuch von meinen Schultern und schickt mich Richtung Spiegel. Ich habe Hoffnung.

‚Schaut doch super aus‘, sage ich und streiche über meine rechte Schläfe, während Doris lachend im Badezimmer verschwindet. Dann fällt mir der Schimmel im Schlafzimmer wieder ein und die Kästen, die dort herumstehen, als wären sie demente Trolle.
Ich blicke zu Boden und sehe eine Ameise, die den Vorzimmerboden erkundet. Die Nachbarin von schräg gegenüber schreit ‚Clau-di-aaaa‘ durch die Kleingartenanlage. Im Radio singt Ronan Keating ‚Life is a rollercoaster, just gotta ride it‘.
Recht hat er.

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