Waren wir also hier, sahen auf das Ruinenfeld, auf die Schlucht, die Berge dahinter, die Wolken, die sich nach Süden schoben. Zum Greifen nah, zehn Schritte nur entfernt, der Tempel des Apoll, die sechs Säulen, die aufrecht stehen. Rechts der Säulen, mittig wohl, der Platz, wo die Pythia gehockt ist auf dem Dreifuß. Wo sie, im Adyton, im Allerheiligsten, Quellwasser trank und Lorbeerblätter kaute, sich dann vorbeugte, die Dämpfe atmete, die aufstiegen aus einer Erdspalte. Wo sie stammelte, schrie, Worte spuckte, die niemand verstand, die ein Kundiger, ein Priester deuten musste; göttlich ihr Ursprung, weiblich der Mittler, männlich die Auslegung.
Hinter uns das Theater, die Felsen des Parnass, Zypressen, deren Schönheit mit jener der antiken Säulen wetteiferte. Eine junge Frau, die auf einem Stein saß und in die Tiefe des Talkessels sah, ein Paar, das stumm hangabwärts stieg. Weiter also, bergan, am Theater vorbei, wo sich der Weg nach Westen schlängelt, zum Stadion, in dem die Pythischen Spiele stattfanden alle vier Jahre. Kein Ringkampf mehr, kein Wettlauf, der sich hier gewinnen ließe, kein Lorbeerkranz, der dem Sieger winkt. Ein schöner Platz zum Schauen freilich, Erinnern auch. Zum Stillsein.
Am Rückweg, beim Fels der Sibylle, zwei junge Frauen, Schülerinnen noch? Studentinnen?, unseren Weg querend, plaudernd. Ins Ausland gehen, sagte die eine. Fremde Kulturen kennenlernen, andere Menschen auch. Ich blieb stehen, sah ihnen nach, beneidete sie. Wandte den Kopf, schaute zum Tempel zurück, wandte ihn abermals, sah einen Hund, der sich im schlanken Schatten einer Säule duckte. So haben wir also den Nabel der Welt gesehen, dachte ich, schritten wir aus, das moderne Delphi zu erkunden.