Feldpost

Aus dem Alltag

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Mein lieber Vater. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Brief an Dich schon begonnen, die wenigen, dürren Worte, die ich auf verknittertes Papier geschrieben hatte, bald wieder verworfen habe. Sie kamen mir falsch vor. Also will ich es noch einmal versuchen; und ich will ehrlich zu Dir sein. Ich war es nicht immer.

Es ist ein seltsamer Ort, von dem ich Dir schreibe. Ein Ort, den es nicht geben sollte. Einer, an dem der Tod regiert und der Irrsinn. Ob Du ahnen kannst, wie viele Kameraden ich schon habe sterben sehen? Was es bedeutet, die Schreie derer zu hören, denen Gliedmaßen fehlen oder ein Auge? Ich kann es kaum glauben, mit welchem Gleichmut man derlei Dinge dulden kann, nach kurzer Zeit schon. Wie dünn doch das Band ist, das uns mit den anderen verbindet.

Drei Monate sind es bald, die wir hier feststecken, es gibt kein Weiterkommen. Der Feind weicht nicht. Und er scheint stark zu sein; ich denke, wir haben ihn unterschätzt. Auch setzen uns Hunger und Krankheiten zu. Und der Zweifel. Der Krieg, Vater, hat ein hässliches Gesicht. Auch wenn Du jetzt lachst (fast kann ich Dich hören): ich wusste das nicht. Ich wusste nicht, was es bedeutet, Soldat zu sein. Sie hatten ganz anderes versprochen.

Ihren Versprechen aber traue ich nicht mehr. Zu spät, will mir scheinen, denn ich bin es ja, der hier sitzt und hungert. Jedenfalls habe ich begonnen, im Kreis der Kameraden ganz freimütig zu sprechen. Ich weiß, dass das gefährlich ist, Vater. Aber ist es nicht egal, von welcher Seite die Kugel kommt, die dich tötet? Und dennoch schlummert noch dieser finstere Rest an Pflichtgefühl in mir. Jenes Pflichtgefühl, das mich zweifeln lässt, was zur Stunde der nächsten Schlacht in mir siegen wird: der Fluch der Kampflust oder die Gnade der Feigheit. Eins aber weiß ich: dass ich leben will.

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