Der Hyundai fürchtet die Mani nicht. Nichts kann ihn mehr schrecken, seit ich erfolglos versucht habe, ihn im Hafenbecken von Gythio zu versenken. So ein koreanischer Rückwärtsgang ist halt andernorts als sein Kollege vom Volkswagenkonzern.
Wie ein vorzeitliches Untier windet sich die Straße nach Süden, rechts das Meer, links der Taygetos und dazwischen Macchia und Steine. Und die Fahrbahn halt. Ab und an stehen Olivenbäume müßig am Straßenrand und im spärlich vorhandenen Schatten lungern unmotiviert ein paar Ziegen. Und wenn eine davon ein wenig aufmerksamer wäre, würde sie jetzt ein Auto bemerken. Drinnen zwei Menschen im mittleren Alter und durch die halb geöffneten Fenster kommt Musik, viel griechischer könnt die kaum sein.
Aber den Ziegen ist das wahrscheinlich ziemlich egal.
Die Musik übrigens griechischer Pop, aufgenommen 1998 auf Kassette. Zwanzig Jahre später hat sie natürlich schon zweimal das Medium wechseln müssen, weil dem Hyundai kannst du weder eine Kassette noch eine CD irgendwo reinschieben, der kennt halt nur einen USB-Anschluss. Ist aber auch wurscht. Die Musik ist immer noch dieselbe und richtig gut ist sie und passen tut sie hier auch.
Und während der Fahrtwind die letzten Fetzen des von uns kraftvoll intonierten Refrains in die maniotische Landschaft trägt, hat die eine aufmerksame Ziege da draußen ein physikalisches Erweckungserlebnis.
Sie hat gerade den Doppler-Effekt entdeckt.
Die Mani touristisch zu nennen, wäre eine frivole Übertreibung. Trifft man andere Menschen, geschieht das meist an einer Straßenkreuzung, wo der Fahrer dann mittig stehen bleibt und die Warnblinkanlage einschaltet. Das sind dann garantiert Griechen.
Und wenn schon die ganze Mani nicht unter Überbevölkerung leidet: im Cavo Grosso ist man dann sicher allein. Die Luft über dem Asphalt flirrt, die Vegetation ist auf das touristische Mindestmaß reduziert und die kahlen Berge vermitteln eine eigenartige Gefühlsmischung von Respekt und Geborgenheit.
Vielleicht ist es genau dieses Gefühl, das sich in den Wehrtürmen der Mani architektonisch widerspiegelt.
Der unverwechselbare Geruch reifer Feigen. Gigantische Kakteen, die ihre überreifen, bereits gärenden Früchte bereitwillig den Wespen überlassen. Wehrtürme, deren Dächer der schweren Last der Zeit nicht standgehalten haben und nun ihr Leben geduldig und friedvoll als Ruine fristen. Dörfer, die großteils entvölkert und dennoch nicht völlig perspektivlos sind. Das ist die Mani, wie sie sich an der Westküste präsentiert.
Im Osten hingegen scheint die dörfliche Infrastruktur weitgehend intakt, sind die meisten Wehrtürme bewohnt, die Platias keineswegs verwaist. Dies ist die Gegend, der der siebenhundertseitige Peloponnes-Reiseführer eine halbe Seite widmet. Es ist der Landstrich, wo Männer leben, die bestimmt mehr als eine Schusswaffe besitzen. Und deren Gesichtsausdruck man entnehmen könnte, dass Großwild rar geworden ist und sie auf der Suche nach geeignetem Ersatz sind. Es ist eine Gegend wie aus einem Bilderbuch für Erwachsene.
Aber ob du hier einen Meldezettel ausfüllen möchtest, solltest du dir gut überlegen.
Hinter Kotronas dann das Gefühl, einer Zeitblase entstiegen zu sein. Eine Landschaft verlassen zu haben, die es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte.
Ganz ruhig sind wir dann geworden. Und während rechterhand das Meer wie ein blauer Teppich ausgebreitet liegt, der Wind durch unsere Haare streicht und Bono ‚Who’s gonna ride your wild horses‘ singt, bringt uns der Hyundai wieder sicher nach Hause.
Am Abend dann nach Gythio. Zauberhaftes Gythio, das uns mit einem Freiluftkonzert beschenkt. Griechische Live-Musik vom Feinsten, die Platia voller Menschen in Samstagabendstimmung. Und wir fünf Schritte von den Boxen entfernt.
Viel griechischer geht’s wirklich nimmer.