Japanische Miniaturen

Gastbeiträge

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Ein weiter Himmel, grauweiß getuscht. Stetes Platschen der Wellen,
das sich in der Bucht verliert. Vom Wind gerecht, liegt Sand in feinen
Streifen. Ein Leuchtturm ragt hervor. An seinem Sockel liegt
angeschwemmtes Treibholz. Dahinter hohes Schilf, wo ein Frosch
kauert. Lautlos wartet er auf die Ankunft der Flut.

Hoch geschlossene Holzmauern umfassen den Schrein. Die Planken
von gekreuzten Giebeln ragen in die Luft. Verborgen hinter alten
Bäumen liegt das Schwert der Sonnengöttin. Ein Tor spannt sich über
den Weg. Unter dem Balken dreht leise der Wind. Zwei Krähen
strecken ihre Flügel. Sie flattern auf und fliegen davon.

Gehörntes Schiff auf dem Berg. Die Achse eines Schiffs, dreimal
gedreht. Wehrhaft und stark wie der Helm eines Kriegers. Unten
treibt der Fluss, lang und geschwungen. Die Blüten der Kirschbäume
schwimmen. Sie legen sich auf drei steinerne Hunde, ihre Mäuler
aufwärts gespannt. Ein Tempelläuten weht aus der Ferne.

Die Felsinsel ist vom Fischteich begrenzt. Flach im Wasser liegt eine
kleine Brücke. Rote Brüstung, sanft zum Bogen gespannt. Ein
Schrein aus rotem Holz, die Flügel zum Fischteich geöffnet. Man hat
ihn mit Gaben geschmückt. Glücksboten aus Porzellan, vier
Maulwürfe. Ihre Bäuche sind ein glattschwarzer Strich.

In der flachen Bucht schwimmt ein hölzernes Tor. Seine Pfeiler
tragen Sockel, auf denen metallene Dächer ruhen. Die geschmückte
Stange schwingt nach oben. Flüstern der Götter liegt in der Bucht.
Durch das Tor gleiten fünf Delphine. Schnell wenden sie und
schwimmen ins Meer hinaus.

Grauer Kiesel liegt gehärtet auf dem flachen Grund. Schimmernd
klares Wasser des Stroms. Pilger waschen sich vor dem Schrein der
Sonnengöttin. Hinter ihm liegt ein Wald, der grün schlummert.
Sieben Schwäne haben sich abgesondert. Ihre Hälse zeigen schlafend
zum Ufer, wo die hohen Büsche aufragen.

Spitz gezacktes Holzwerk, das dünn zur Seite gerichtet ist. Gezackter
Baum, jäh schiebt er sich gegen den Hang. Um den Stamm hängen
Nadeln, ein wollener Schutz. Ganz oben hält ein Ast die Ruhe. In der
Nacht sammeln sich sechs Wölfe unter dem Stamm. Ihr Heulen
verfängt im Nadelschlag.

Zart rötlich spielt das Licht um den höchsten Gipfel. Wie eine Glocke
taucht der Schnee aus dem weichen Dunst. Lang und schleppend läuft
ein Hang ins Tal aus. Erst vor der Bucht kommt er zur Ruhe. Im
Schilf schwirren vier Libellenpaare. Ihre Flügel glänzen, silberner
Stoff in der Bucht.

Jan Decker, Jahrgang 1977, lebt und arbeitet als Schriftsteller in Wien. Er studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Für ARD, Deutschlandradio und SRF schrieb er mehr als 30 Hörspiele und Features. Daneben verfasste er zahlreiche Bücher, Theaterstücke, Libretti, Erzählungen, Essays, Gedichte und Artikel. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und dem erostepost-Literaturpreis. Jan Decker unterrichtete an mehreren Universitäten, darunter an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und der Universität Wien. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.
Zuletzt erschienen: Mösers Rückkehr. Kurzer Roman eines langen Lebens, Meinders & Elstermann Verlag 2020
Jan Decker

Margrit Irgang schreibt Erzählungen, Gedichte und Bücher über Zen und Meditation, fotografiert minimalistisch und betreibt den Blog „die poesie des augenblicks“. Manchmal singt sie im Chor. Aber am liebsten ist ihr die Stille. Sie hat den Traum, als Eremitin mit Katze und Gärtchen zu leben, noch nicht aufgegeben. Für ihre Arbeit erhielt sie u. a. den Rom-Preis Villa Massimo, den Bayerischen Literaturpreis und den Münchner Literaturpreis.
Margrit Irgang

Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei Jan Decker, die Bildrechte bei Margrit Irgang.

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