Schauplatz Makola Market, Ghana, Westafrika. Der Markt ist ein Stadtstaat, das Herz des Landes, riesig, unübersichtlich und in seinen zahllosen, meist halb überdachten Gassen eng und voll. Es herrscht dauerndes Geschiebe, alle sind in Bewegung, allein die Händler und Marktfrauen sitzen hinter ihrer Barriere aus Waren und verfolgen das bunte Treiben mit Gelassenheit und gebührendem Sicherheitsabstand. Ein Potpourri unterschiedlichster Sprachen, Dialekte und Inhalte liegt in der Luft, private Begebenheiten, neuester Klatsch und produktbezogene Fragen werden ausgiebig erörtert, um in direktem Anschluss von Gefeilsche oder resolutem Abwenden und Weggehen abgelöst zu werden. Das Angebot ist riesig: Es gibt alte und neue Kleidung jeden Stils, alle erdenklichen Arten von Haushaltswaren, containerweise Schuhe und Handarbeiten aus Leder, mehrere Straßen allein mit Gürteln, Lebensmittel von A bis Z und, sofern man die entsprechenden Codes, Plätze und Verbindungsleute kennt, sicher auch alles andere, ob legal oder illegal.
Die Mehrheit der Menschen trägt die Waren auf dem Kopf. Während meines bisherigen Aufenthaltes habe ich einige derart kunstfertige Transporte von gewichtigen und dabei auch schwierig zu balancierenden Gütern auf den Köpfen gesehen, dass ich mich ernsthaft frage, wieso andere Völker nicht auch auf diese Idee gekommen sind: Da trägt ein junges Mädchen eine große Waschschüssel, randvoll mit Wasser, etwa eine Handbreit oberhalb der Stirn, und dazu links wie rechts mehrere dicke Pakete in den Händen. Mit der europäischen oder amerikanischen Technik wäre dies unmöglich, man müsste zweimal gehen. Letztens beobachtete ich eine, die stapelweise Zeug auf dem Kopf trug, und von irgendwoher kam plötzlich ein Lied aus dem Radio, das sie kannte – woraufhin sie einstimmte, zu summen begann, und, sehr bald darauf, auch zu tanzen; nur angedeutet natürlich, aber scheinbar gänzlich ungeachtet der Dinge, die sie da freihändig trug – diese schwangen einfach mit und rührten sich keinen Millimeter. Das Schauspiel währte exakt bis zu dem Moment, in dem sie mich bemerkte, und, etwas geniert, innehielt, um kurz darauf, wenn auch verhaltener, fortzufahren.
Später dann der Höhepunkt des heutigen Tages: Beim Warten auf den Taxibus sehe ich einen Jungen, der an einem Bindfaden ein selbst gebasteltes Auto, einen Lastwagen, hinter sich herzieht – er besteht aus platt geklopften Metallstücken, wahrscheinlich Konservenbüchsen, und fährt auf Rädern aus Früchten, die der deutschen Quitte im unreifen Stadium ganz ähnlich sind. Es mag an dem charmant schlingernden Lauf dieses Gefährts gelegen haben oder der unregelmäßigen Art, in der die blecherne Ladefläche und die Achsen tanzten, womöglich aber auch an dem Jungen, der die Schnur des Autos an einem Stöckchen befestigt hatte und sich gelegentlich besorgt umdrehte. Wahrscheinlich war es dies alles zusammen, was mich zu der Überzeugung kommen ließ, dass ich nie ein beseelteres Spielzeug in meinem Leben gesehen habe als diesen aus Abfällen und Liebe zusammengesetzten Lastwagen.
Philipp Schiemann, geb. 1969 in Düsseldorf, ist Autor und gelernter Mediengestalter mit Schwerpunkt Grafik. Seit Mitte der 1990er Jahre zahlreiche Veröffentlichungen von Prosa und Sachtexten, letztere stets mit Bezug auf Westafrika. Seine jüngste Publikation ist die Erzählung „Rockstar 5.0“ (Killroy media Verlag, 2020, ISBN 978-3931140281). Weitere Infos unter
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