Nero und sein Gartenhäuschen

Rom

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Odysseus mag listenreich gewesen sein. Ein großer Held und tapferer Krieger. Ein Mann mit mäßigen nautischen Kenntnissen und einem eigenwilligen Verständnis von Termintreue. Aber gut gesehen kann er nicht haben.
Wie anders ist es zu erklären, dass man Achill nicht erkennt, selbst wenn der Frauenkleider trägt?

Zu manchen Dingen kommt man wie die Jungfrau zum Kind. Grad eben sind wir noch arglos über die Piazza Venezia geschlendert und haben uns gefreut, dass man da heute nicht überfahren wird, weil sie gesperrt ist für den Motorverkehr. Und jetzt stehen wir mitten in einer gewaltigen Ansammlung von Carabinieri und wissen gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollen. Die sind ja alle so bunt gewandet, da kriegt sogar ein Pfau das Gefühl, er müsst‘ sich was Schöneres zum Anziehen kaufen.

Ganz zwanglos stehen sie noch da, die Klarinette in der Hand, die Trommel vor dem Bauch, die letzte Zigarette elegant im Mundwinkel. Die Oboe übt noch ein wenig, die Trompeten plaudern entspannt miteinander und die Klarinette beschränkt sich darauf, ‚una bella figura‘ zu machen und reglos wie eine antike Statue in die Menge zu blicken. Ich mache einen Schritt nach vor und trete beinahe einem General, der meine Wege kreuzt, auf den rechten Fuß. ‚Scusi‘, stoße ich erschrocken hervor, weiche beherzt zurück und ernte umgehend ein belustigtes ‚Grazie‘, dann ist er auch schon wieder weg.
Ich stelle mich vor ein Absperrgitter, da ist der Generalstab vor mir sicher. Und warte ab. Bis plötzlich Bewegung die Carabinieri erfasst, die heitere Gelassenheit mit einem Mal dem schmucklosen Ernst militärischer Disziplin weicht. Und die ersten Töne der Nationalhymne erklingen.
Ich bin ergriffen.

Als Letzte marschieren die Veteranen ein. Es sind nicht viele. Manch einer sieht aus, als hätte er noch an Garibaldis Seite gekämpft. Zwei junge Japanerinnen reden aufgeregt und lautstark über mich hinweg und schießen Foto um Foto. Eine italienische Matrone drängt nach vor und versucht schamlos, mir meinen Platz streitig zu machen. Ich beuge mich schließlich ihrer körperlichen Überlegenheit und trete den Rückzug an, die Menge vor mir teilend wie weiland Moses das Rote Meer. Wir müssen ohnedies weiter.
Wir haben ein Date mit Nero.

Wenn Kaiser standesgemäß bauen, dann kann es schon mal vorkommen, dass drei der sieben Hügel Roms dem Herrscher vorbehalten sind. Ich kann das ja verstehen, wer lebt schon gern beengt? Neros ‚Goldenes Haus‘ jedenfalls hat alle Dimensionen gesprengt. Räumlich wie ästhetisch. Eine riesige Landvilla inmitten der Stadt, umgeben von Wiesen, Wäldern und Weinbergen. Mit Bädern, Theatern, einer Bibliothek. Einem künstlichen See in der Talsenke. Der junge Kaiser war ein Mann mit einem erlesenen Geschmack und einer desaströsen Nachrede.
Er wurde nicht alt.

Die ‚Domus Aurea‘ in all ihrer Pracht hat ihren Herrn nicht lange überdauert. Sie hat gebrannt. Und wurde zugeschüttet. Dann mit den Trajansthermen überbaut. Wo einst der See lag, wuchs bald ein Bauwerk in die Höhe, das heute jeder kennt. Das Kolosseum. Das ‚Goldene Haus‘ aber geriet allmählich in Vergessenheit.
Doch es lebt.

So ein Baustellenhelm ist wenig kleidsam. Man darf sich das nicht schönreden. Wir stehen im Vorhof von Neros Gartenhäuschen und machen peinliche Fotos mit bunten Helmen. Dann verschwinden wir im Dunkel der Ruinen.
Was einst im hellen Licht lag, nur Auserwählten zugänglich, ist heute unter einem Hügel verborgen. Raum um Raum wird mühsam freigelegt und was dabei zu Tage tritt, macht sprachlos. Fresken. Überall Fresken. Odysseus etwa, der den Zyklopen Polyphem betrunken macht, damit er ihn gefahrlos blenden und aus der Höhle flüchten kann. Ein Ziegenbock an der Wand, so zart gemalt, als stünde er leibhaftig hier. Florale Muster, zeitlos schön. Und wiederum Odysseus. Der Achill nicht erkennt, selbst wenn der Frauenkleider trägt.
Da drängt sich schon die Frage auf, wie’s um den Körperbau der Griechinnen bestellt war.

Wir schauen uns die Augen aus dem Leib, den Kopf so weit im Nacken, da kriegt mein Physiotherapeut zu Hause sicher einen Migräneanfall. Ich mache ein paar Schritte von der Gruppe weg, trete in den nächsten Raum. Den letzten. Ganz alleine stehe ich im achteckigen Speisesaal. Die Sonne flutet ihn mit Licht, das durch das Loch am höchsten Punkt der Kuppel strömt. Ich staune still. Und beinahe kann ich ihn hören, den jungen Kaiser. Wie er zufrieden raunt:
‚Endlich kann ich beginnen, wie ein Mensch zu leben.‘

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