Scheideweg

Aus dem Alltag

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Wenn er schläft, könnte man ihn für einen Engel halten. Seine blonden Locken fallen ihm dann in die Stirn und um den Mund hat er so einen zufriedenen Zug wie Katzen ihn haben, wenn sie von erlegten Mäusen träumen. Er wirkt so glücklich wie ein Kind, das mit seiner Lieblingspuppe im Arm eingeschlafen ist.
‚Ich‘, denke ich mir. Ich war es.
Mich hat er im Arm gehalten.

Ich drehe mich zur Seite, hebe meinen Kopf, stütze ihn mit meinem linken Arm. Schaue Peter an, schaue ihn einfach nur an, wie er schlafend neben mir liegt und fühle mich, als würde ich zum ersten Mal einen Sonnenaufgang betrachten. Er wirkt so verletzlich, denke ich mir. So unschuldig. Warum muss er so unstet sein?, frage ich mich. Warum kann er sich nie für etwas entscheiden, bei dem er dann bleibt?
Oder jemanden.

Ich weiß, dass ihm seine Freiheit wichtig ist. ‚Freiheit‘, denke ich mir und strecke meine rechte Hand nach seiner Wange aus, berühre sie aber nicht. Was mochte das sein?

Medizin wolle er jetzt studieren, hat er gestern gesagt. Hat es gesagt, als ginge es ihn nichts an. Als wäre es nicht weiter der Rede wert, wie ein Schlüsselbund vielleicht, den man im Bus verloren hat. Das wäre doch interessant, hat er gesagt und mich so vorsichtig von der Seite angesehen, als ob er mir seinen frontalen Blick nicht zumuten könnte.
Seinen Entschluss aber hat er mir nicht erspart.

Ja, wenn er schläft, könnte man ihn für einen Engel halten, denke ich mir und kämpfe gegen die Tränen an, die ich nicht weinen will. So unschuldig wirkt er. So schön. Sein Körper, denke ich mir, strahlt einen Frieden aus, den ich nie finden werde. Ich streiche ihm vorsichtig über sein Haar. Wovon er wohl träumen mag?, schießt es mir durch den Kopf.
Ich habe ihn nie danach gefragt.

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