Ich weiß nicht, wann ich zu zweifeln begann. Ich kann die Unruhe nicht benennen, die in mich gekrochen ist wie eine Spinne in eine Mauerritze. Die Welt trägt kein anderes Gewand als gestern, sie folgt denselben Regeln wie zuvor. Was uns zu braven Bürgern macht, hat seinen Wert nicht eingebüßt.
Und dennoch schmeckt der Alltag so schal, als wäre er seit Jahren schon höchst unbekömmlich.
Vielleicht bin ich zu alt geworden. Zu alt, um den wechselnden Phrasen noch Glauben zu schenken, die als ewige Wahrheiten feilgeboten werden. Zu müde, um sie offen in Frage zu stellen. Ich schlucke die neuen Parolen als wären sie ein Blutdrucksenker. Ich schwimme nie gegen den Strom. Ich funktioniere nach wie vor.
Vielleicht liegt es am Junggesellenleben. Daran, dass das Alleinsein die Fähigkeit zur Nähe tilgt. Kann ich deshalb nicht glauben, dass jene, die die Regeln setzen, das Beste für mich wollen? Wann bin ich so misstrauisch geworden? Als die Worthülsen die Oberhand gewannen? Als personeller Engpass zum Regelfall geworden war? Ich weiß nicht, wann ich zu zweifeln begann. Wann die Unruhe Einzug hielt in mir. Ich bin doch niemand, der gegen den Strom schwimmt. Ich bin ein treuer Diener des Systems. Ich funktioniere nach wie vor.
Ich bin vierundfünfzig. Ich weiß nicht, ob es stimmt, was sie mich glauben machen wollen. Dass die Welt immer effizienter werden muss. Und schneller. Ich verstehe nicht, warum ein Mehr unweigerlich zu wenig bleibt. Weshalb sich Gier als Stärke tarnt und Anerkennung findet. Warum der Reiter, der die Gerte schwingt, den großen Preis gewinnt und nicht das Pferd.
Ich weiß nicht, ob ich Antwort finde auf meine ungestellten Fragen. Ich will ein braver Bürger sein.