Vogelmarkt

Gastbeiträge

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Wenn ich will, gehe ich jede Woche zum Vogelmarkt. Ich gehe gerne hinunter zum Hafen. Ich schließe meine Sardinendosen, lecke meinen Löffel Honig ab, nehme eine Mandel in die Hand, küsse in die Luft und öffne die Tür. Hinaus. Die Schneetulpen blühen und ich gehe hinunter zum Hafen, hüpfe Himmel und Hölle, hebe die Welt wie eine Feder von meiner Seele. Was ich alles in meiner Hosentasche versteckt habe. Davon wissen nur die Vögel.

Ich öffne die Tür und gehe gegenüber in die Kirche, blaugrau gestrichene Bänke und Emporen, Kirchenfreunde, die putzen und polieren, schmücken und reden. Ich gehe weiter und teile alle Probleme, meine, die der Marktfrauen, die des Holzhändlers und die der städtischen Verwalter, in Probleme verschiedener Kategorien auf. Sortiert sind alle Probleme überschaubar und nähern sich einer Lösung oder werden vergessen. Fenster öffnen, Sterne hereinlassen und alle Gedanken den Behörden verheimlichen.

Ich gehe fast jede Woche zum Vogelmarkt. Der Fluss duftet nach dem verladenen Holz, nach Tang und Fisch. Ich gehe bis an das Ende des Marktes. Ein schöner Käfig mit einem Tulpenvogel. Der Händler ist beschäftigt. Ich öffne das Schloss, der Vogel kommt und wir fliegen fort.

J. Monika Walther stammt aus einer jüdischen-protestantischen Familie. Schlug an vielen Orten Wurzeln. Studierte, promovierte, zog los in die Welt. Kehrte zurück und wurde sesshaft im Münsterland und in den Niederlanden. Wurde 1976 Schriftstellerin, ist es bis heute. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. „Fluchtlinien“ (2023), „Nachtzüge. Gedichte und gefundene Zettel“ (2021) und „Dorf – Milch und Honig sind fort“ (2020).
J. Monika Walther
Lesebuch Jay Monika Walther

Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei J. Monika Walther, die Bildrechte bei Doris Lipp.

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